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Die Ethik Schopenhauers und Feuerbachs

Philosophie



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Die Ethik Schopenhauers und Feuerbachs

vorgestellt an Hand des Buches von János F. Böröcz
Resignation oder Revolution. Ein Vergleich der Ethik
bei Arthur Schopenhauer und Ludwig A. Feuerbach




Das Anliegen dieser Dissertation von 1997, die in veränderter Form 1998 als Buch erschien(1), ist die Untersuchung des 'ideengeschichtlich markanten Verhältnisses zwischen Feuerbachs optimistischer Ethik und der pessimistischen bei Schopenhauer'. Die auch heute noch nicht von Erfolg gekrönten Bemühungen um die Grundlegung einer Ethik lassen es lohnend erscheinen, die antipodischen Standpunkte der beiden Denker an Hand dieses Buches im Hinblick auf diese nach wie vor aktuelle Diskussion vorzustellen.

Der gewählte chronologische Ansatz dieses Vergleiches kommt vor allem bei der Schilderung des Feuerbachschen Denkens zum Tragen, das in erheblich größerem Umfang einer Entwicklung unterworfen war als dasjenige Schopenhauers (1788-1860); beide Denker haben zwar den jeweils anderen zur Kenntnis genommen, trotz mancher Berührungspunkte kann aber von einer gegenseitigen Beeinflussung nicht gesprochen werden. Das Hauptwerk des Alteren, 'Die Welt als Wille und Vorstellung', war zwar bereits 1819 erschienen, aber doch zunächst wirkungslos geblieben, und so war es Feuerbach (1804-1872), der mit seiner Schrift 'Das Wesen des Christentums' (1841) zuerst bekannt wurde. Im Gefolge des unrühmlichen Endes der 48-er Revolution schlug jedoch die Stimmung um, das Interesse an Feuerbach ging verloren, der Pessimismus Schopenhauers entsprach nun eher dem Zeitverlangen – und so kamen Feuerbach in diesen Jahren dessen Schriften zur Kenntnis.

Der Autor stellt zunächst in einem Exkurs die Metaphysik Schopenhauers vor; dies ist notwendig, da letzterer zur Grundlegung seiner Ethik, vornehmlich der des Nolle (= nicht wollen), auf jene rekurriert, obwohl er andererseits vorgibt, nicht eine synthetische, von bestimmten Prinzipien ausgehende, sondern eine analytische, also sich an den realen Phänomenen orientierende Ethik geben zu wollen.

Der Wille ist für Schopenhauer das (metaphysische) 'Ding an sich', und zwar außerhalb von Raum und Zeit, alle realen Dinge aber seien nichts anderes als Erscheinungen, über die Reihe Materie, Flora, Fauna und Menschheit sich selbst stets deutlicher werdende Objektivationen dieses Willens. Diese Steigerung erfolge durch Streit und Kampf, und daher sei 'wesentlich alles Leben Leiden.'

In der menschlichen Vernunft kommt dieser Wille zum Leben 'zur Besinnung' – 'beim Lichte deutlicher Erkenntniß' drängt sich angesichts des Leidens die Frage nach Bejahung oder Verneinung dieses Willens auf; von daher ist Schopenhauer genötigt, zwei verschiedene Theorien zu entwickeln, des 'Velle' (Wollen = Willensbejahung) und des 'Nolle' (Willensverneinung). Feuerbach, der für den menschlichen Willen Aufgaben im Diesseits sah, entwickelte 'nur' eine positive (und optimistische) Form der Ethik, die sich in ihren Grundkonstituenten mit der Schopenhauerschen Ethik des Velle vergleichen läßt.

Diese Konstituenten 'sind die charakterliche Disposition des Handelnden, seine Intelligenz sowie das Motiv'. Schopenhauer unterscheidet zwischen dem (metaphysischen, weder Raum noch Zeit angehörigen) 'intellegiblen Charakter', welcher 'der Wille als Ding an sich [sei], sofern er in einem bestimmten Individuo, in bestimmtem Grade erscheint' und dem 'empirischen Charakter', der nichts anderes sei als die 'in Zeit und Raum und allen Formen des Satzes vom Grunde entwickelte und auseinandergezogene' Erscheinung des intellegiblen Charakters.

Bei Feuerbach findet sich in den frühen Schriften zunächst eine nicht unähnliche Konzeption des Willens, was nicht weiter verwundert, da er wie Schopenhauer zuerst von Kant und Hegel ausgeht: der individuierte Wille mache einerseits den Charakter des einzelnen Menschen aus, andererseits konstatiert er (im Zusammenhang mit der 'allgemeinen, unendlichen Vernunft' der Habilitationsschrift) einen 'allgemeinen Willen', was sich später auch in der Betonung der 'Gattung' ausspricht. Von Hegels 'Geist' herkommend hat diese Konstruktion zwar einerseits auch ein metaphysisches Element, steht aber einer naturalistischen Ausformung, zu der sich Feuerbach später hinentwickeln wird, wesentlich näher als die Schopenhauersche.

Der Wille wird in Bewegung gesetzt von qualitativ verschiedenen Motiven und deren Gewichtung untereinander; gleichzeitig steht damit die Frage nach dem Vorrang des Intellekts im Raum und einer von diesem konstruierten Ethik (wie sie etwa Kant lieferte). Wofür sich der Wille entscheidet, ist für Schopenhauer gerade keine Frage des Intellekts, sondern an diesen Entscheidungen macht er sich als 'intellegibles Ding an sich' kenntlich – auch die Vernunft ist nur eine Dienerin des Willens, die sich dieser in seinem sich selbst Durchsichtigwerden geschaffen hat. Damit ist gleichzeitig klar, daß im Rahmen des Velle Schopenhauer von der Determination des Willens ausgeht, der nur auf die verschiedenen Motive reagiere, wie er als 'Ding an sich' gesetzt sei, und sich damit als empirischer hervorbringe. Intellektuelle Erkenntnis vermag nach Schopenhauer also keinesfalls die Grundstruktur des intellegiblen Charakters zu verändern, sondern lediglich zu einer Entfaltung und Lenkung desselben als empirischen beizutragen.

Ganz anders zunächst Feuerbach: 'Cogitatio hominum absoluta est essentia.' ('Das Denken ist das absolute Wesen des Menschen.'), heißt es in seiner Habilitationsschrift. Hielt er also zunächst von Hegel herkommend an einem ethischen Intellektualismus fest, läßt ihn seine Religionskritik gegenüber den Möglichkeiten der Rationalität zunehmend skeptischer werden. Die Irrationalität des Christentums, in dem sich der Mensch der Vernunft selbst vergöttlichend projiziert, führt ihn zu der Einsicht, 'daß der Mensch kein primär rational organisiertes Wesen ist, also der intellektualistischen Anthropologie des Idealismus widerspricht.' Und so kommt es auf der Basis einer nunmehr streng sensualistischen Erkenntnistheorie auch zu einer Umkehr seiner Ethik; ganz ähnlich wie bei Schopenhauers Behauptung einer Dominierung des Intellekts durch den Willen heißt es nun bei Feuerbach: 'Die Vernunft ist immer beim Menschen die gehorsamste Dienerin des Herzens.'

Den Zwiespalt zwischen ethischem Ideal, das er wegen seines 'richtigen pädagogischen und moralischen Zweck[es]' nicht aufgeben will, und der real zu beobachtenden Abhängigkeit des Menschen von seiner Sinnlichkeit vermittelt er auf folgende Weise: 'Man kann gegen sich selbst nicht genug idealistisch , aber gegen Andere nicht genug materialistisch; gegen sich selbst nicht genug Stoiker, gegen Andere nicht genug Epikureer sein.'

Auch Feuerbach erkennt hinter dem Handeln der Individuen einen gegebenen Charakter, der vor allem darin besteht, daß jeder Mensch nach seinem eigenen Glücke strebe. Damit stellt sich die Frage nach der Stellung des Egoismus in der Ethik beider Philosophen; bei einer Handlungstheorie wie derjenigen Schopenhauers, die den Willen als 'Ding an sich' des Individuums auffaßt, liegt es auf der Hand, daß man diese auch als eine 'Theorie des Egoismus' bezeichnen könnte – alles Handeln und Denken ist egoistisch, weil von diesem Eigenwillen unabänderbar vorbestimmt: Der Egoismus 'überragt die Welt.' Ethische Handlungen sind prinzipiell nicht möglich, weil allem Handeln ein egoistisches Motiv zugrunde liegt. Hintergrund einer solch rigoristischen nonegoistischen Auffassung ethischen Handelns ist natürlich Kants Philosophie, die eudämonistische und egoistische Beweggründe strikt von ethischen Zielen abgetrennt wissen wollte.

Bei Feuerbach hingegen sehen wir eine ähnliche 'materialistische' Umkehr wie schon im Hinblick auf die Einschätzung der Vernunft: Wird der Egoismus zunächst von der idealistischen Wesensauffassung der Frühzeit her verworfen – 'Es gibt nur ein Böses – es ist der Egoismus.' –, so gelangt er mit der Anerkennung der sensualistischen Grundlagen des Menschen auch zu einer Bewertung des Egoismus als einer 'anthropologischen Konstante'. Wie sich der Beobachtung zeigt, ist nun aber egoistisches Handeln in verschiedenen Formen möglich: ich kann in meinen Absichten und Handlungen entweder mich als Einzelnen sehen (wie es Stirner in seinem 'Einzigen' tat), oder ich kann in diese andere Mitmenschen mit einbeziehen, und so unterscheidet Feuerbach zunächst die 'zwei Varianten des Egoismus, eine schlechte, weil solipsistische, und eine akzeptable, da soziable.' Wenn Erfüllung und Glück des Egoismus nur in der Vereinigung mit anderen Menschen möglich ist, wie es später im Feuerbachschen Tuismus heißen wird, so muß der sich im Egoismus selbst bejahende Mensch notwendig auch das Glück des anderen Ego mitbejahen. Und so kann er im Jahr 1862 an Bolin schreiben: 'Trotz Schopenhauer ist Glückseligkeit der letzte Zweck und Sinn alles menschlichen Thuns und Denkens.' Jene idealistische Pflicht, unter der allein Kant und Schopenhauer ethisches Handeln gelten lassen wollten, holt Feuerbach ins Reich des alltäglichen Lebens zurück, indem er als moralische Pflicht definiert, die auf je eigene Glückseligkeit zielende Selbstliebe der anderen anzuerkennen. 'Ich will, heißt, ich will nicht leiden, ich will glücklich sein.'(2) Und so erhebt Feuerbach den Egoismus 'unumwunden und feierlich in den Adelsstand der Moral als ein notwendiges Element, als einen Grundbestandteil derselben.'

Die Entwicklung des Individuums und dessen Verhältnis zur Gattung faßt Böröcz zusammen als 'Schopenhauers Nativismusthese', da dieser auf der Grundlage seiner Metaphysik des unabänderlichen 'intellegiblen Charakters' (des Willens als 'Ding an sich') den Charakter des Individuums als angeboren bezeichnete und Umwelteinflüsse bei der Charakterbildung bestritt. Zurecht läßt sich ihm hier entgegengehalten, daß er damit die Mitschuld einer Gesellschaft am Verhalten krimineller Mitglieder, aber auch eine mögliche Resozialisierung ohne eigentliche Begründung ablehnt. Dies umso mehr, weil Schopenhauer den angeborenen Charakter des Individuums durchweg für konstant hält, und zwar sowohl im allgemeinen, daß der 'ethische Gehalt unseres Lebenswandels unveränderlich bestimmt' sei wie auch im speziellen, daß sich Verhaltensweisen im Regelfall nicht verändern lassen. Auch die unbestreitbare intellektuelle Entwicklung des Individuums zeigt für Schopenhauer nur, daß sich zwar unter diesem Einfluß konkretes Verhalten wandeln kann, der Charakter bleibe davon jedoch unberührt.

Für Feuerbach spielen für den Charakter sowohl angeborene als auch Umwelteinflüsse eine Rolle, 'Neigungen' oder 'in frühester Kindheit empfangene Eindrücke'. Insofern spricht er von einer sukzessiven Entfaltung, gleichzeitig aber vom je eigenen 'wesentlichen Charakter', der nur quantitativ fortschreite im Hinblick auf die jeweiligen 'Fähigkeiten, Anlagen und Talente'. Auch hier bleibt der Charakter durchaus angeboren und konstant, und so schreibt er 1861 wiederum an Bolin, er stimme Schopenhauer 'vollkommen bei, wenn er die Unveränderlichkeit des Charakters des Menschen behauptet.' Zuletzt beschränkt Feuerbach allerdings die Konstanz des Charakters nurmehr auf die 'Grenzen der Gattung' und den Egoismus, ohne allerdings diese Möglichkeit zur Inkonstanz zu begründen oder zu beweisen.

Dieses Verhältnis von Gattung und Individuum ist bis heute umstritten; Schopenhauer spricht einerseits gerne von der 'Fabrikwaare' Mensch, andererseits begreift er den Menschen vor allem als Individuum, die Gattung ist ihm zunächst ein bloßer Abstraktionsbegriff. Seine ganze Philosophie zielt ja auf das einzelne Individuum; dennoch kommt er zur Erkenntnis, daß erstens der 'Charakter der Species allen zum Grunde' liege, und daß zweitens die Natur nur 'die Erhaltung aller Gattungen' beabsichtige. So werden ihm die einzelnen Menschen schließlich zu leicht einzuschätzenden 'Klassen', 'trivial, alltäglich, gemein, tausend Mal vorhanden sie sind Fabrikwaare.' Individuum ist ihm nurmehr das 'Genie' – von hier aus ist der Weg zu Nietzsche dann nur noch ein kleiner Schritt.

Bei Feuerbach sehen wir im Verhältnis Individuum-Gattung wieder die nun bereits schon bekannte Bewegung: Wird zunächst die Überwindung des Subjektiven im Allgemeinen und in der Idealität der Vernunft gefordert, so tritt an deren Stelle die nonegoistische Liebe: ' das Sein des andern ist mein Sein Alle Liebe, alle Liebesarten haben dies gemeinschaftlich, daß sie Selbstaufgabe, Selbstaufopferung sind.' Und zwar Selbstaufgabe zugunsten der Gattung und deren Geschichte, denn 'das Individuum sei ‚ein bestimmtes Glied des geschichtlichen Ganzen‘' – die auch hier noch bestehende Nähe zum Hegelschen Denken ist unverkennbar. Im 'Wesen des Christentums' beschreibt Feuerbach das Verhältnis von Gattung und Individuum: 'Es 'kann und soll selbst das menschliche Individuum sich als beschränkt fühlen und erkennen; aber es kann sich seiner Schranken, seiner Endlichkeit nur bewußt werden, weil ihm die Vollkommenheit, die Unendlichkeit der Gattung Gegenstand ist, sei es nun als Gegenstand des Gefühls oder des Gewissens oder des denkenden Bewußtseins.'

Am Christentum wird dabei vor allem kritisiert, daß es unstatthafterweise Individuum und Gattung identifiziere, und daher dem Individuum persönliche Unsterblichkeit zuschreibe.

Stirner verwies in seiner Feuerbach-Kritik nicht zu Unrecht darauf, daß damit zwar einerseits der Mensch auf sich selbst gestellt werde, aber nicht als lebendes Individuum, als 'Einziger', sondern auf das 'Gattungswesen', Gott werde durch die Gattung ersetzt, das Individuum komme nur in Betracht als Selbstverwirklichung der Gattung. Diese Kritik zwang Feuerbach in seiner Stirner-Replik und im 'Wesen der Religion' zu einer weiteren Verschiebung der Gewichte: das eudämonistische Streben des Individuums zu seiner Selbstverwirklichung als Individuum wird aufgefaßt als entschränkender Befreiungsakt in Richtung auf das 'Gattungswesen', das mithin das Ziel dieser Selbstverwirklichung bleibt – aber damit gerät ihm erstmals das Individuum als solches in den Blick, und dessen Sinnlichkeit: 'Wahrheit sei ‚nur die Anthropologie, Wahrheit nur der Standpunkt der Sinnlichkeit, der Anschauung, denn nur dieser Standpunkt gibt mir Totalität und Individualität.‘' In notwendiger Folge dieser Akzeption der Sinnlichkeit gewinnen die 'Glückseligkeit' des Individuums und seine 'Neigungen' bei Feuerbach eine zunehmende Bedeutung und geraten zum rigoristisch-ethischen Pflichtbegriff, wie er von Kant herstammt, in Widerspruch: 'Wenn ich daher ohne alle Neigung, bloß aus Pflicht handle, so handle ich eigentlich als Affe' (nämlich fremdkonditioniert und ohne innere eigene Zustimmung, wie wir heute sagen würden). Glückseligkeit wird nunmehr definiert als 'das Leben im Einklang mit meinen Neigungen und Trieben'. Die Radikalität der Umkehr wird deutlich, wenn man den Ausgangspunkt der Selbstaufopferung zugunsten der Gattung dagegen hält.

Allerdings hat Feuerbach damit weder den Pflichtbegriff genügend geklärt, wenn er ihn jetzt allein auf 'Neigung' zurückführt, noch hat er damit eine Lösung für die Fälle aufgezeigt, wenn sich Pflicht und Neigung widersprechen. Sowohl er wie auch Schopenhauer scheinen in diesen Fällen der Meinung zu sein, daß der Mensch im Zuge seiner 'Charakterrealisierung' in solch widersprüchlichen Situationen seinem 'Grundwunsch' folgen solle (als Inkarnation des 'Willens an sich' bzw. aus der 'Mission' heraus, die der Mensch als so seiendes körperliches und sinnliches Individuum darstelle). 'Nebenwünsche' seien diesem aufzuopfern.(3)

Wenn für Schopenhauer mit diesem 'Willen an sich' der Charakter des Individuums lebenslang vorbestimmt ist, läßt sich unschwer erkennen, daß seine Argumentation auf eine vollständige Determination dieses Willens hindrängen muß: als frei gilt ihm dieser, wenn seine Erscheinungen 'nicht als Folge durch einen Grund bestimmt' sind; gleichzeitig gliedert er die möglichen Ebenen von Freiheit und deren Determination in 'physischer, intellektueller und ethischer Hinsicht' – Freiheit bestünde nur bei 'Abwesenheit aller Nothwendigkeit' auf all diesen Ebenen, notwendig ist dabei alles, 'was aus einem gegebenen zureichenden Grunde folgt'. Sodann unterscheidet er zwischen Wollen, Können und Wollen-Können – die Wahlmöglichkeit zwischen alternativen Handlungsmöglichkeiten in der Vorstellung bedeute noch lange keine Freiheit hinsichtlich der sich ergebenden tatsächlichen Handlung. Diese folgt nämlich immer notwendig, eine andere Handlung als diejenige, hinter der sich die am stärksten wirkenden Motive versammeln, seien diese je nach 'Charakter' des Individuums physischer, intellektueller und ethischer Hinsicht Natur, kann gar nicht gewollt werden.

Das stärkste Argument für diese Determination gewinnt Schopenhauer dabei aus der Organisation der Sinnesorgane und des Verstandes selbst, deren Voraussetzung als 'Möglichkeit aller Erfahrung' das Kausalgesetz ist: allem Verständnis von Welt liegt die Verknüpfung von Ursache und Wirkung zugrunde, alles menschliche Handeln, an dem Sinne und Verstand notwendig immer beteiligt sind, ist daher diesem Prinzip a priori unterworfen.

Der frühe Feuerbach geht vom Indeterminismus aus, Freiheit ist ihm ein geistiger Begriff. Ist der Mensch durch intellektuelle Emanzipation in der Lage, an der allgemeinen Vernunft teilzuhaben, so ist er insoweit auch frei – in Freiheit wählt er das Gute, nur wenn man dem Individuum die freie Wahl zwischen Gut und Böse zugesteht, ist eine ethische Entscheidung für die Pflicht (im Kantschen Sinne) möglich. Für Schopenhauer führt der Wille die Vernunft, für den jungen Feuerbach führt die Vernunft den Willen; determinierende Faktoren erkennt letzterer dabei insoweit an, als das Denken selbst durch soziale Einflüsse einschränkend geprägt werden kann, denen gegenüber das Individuum eigenständig zur Vernunft kommen müsse.

Spätestens seit dem 'Wesen des Christentums' verschieben sich die Gewichte zwischen Willen und Vernunft: die 'edle Handlung' entspringt nun nicht mehr der Wahlfreiheit der Vernunft und deren Entscheidung für das Gute, sondern sie ist vor allem eine 'natürliche'. Ahnlich wie Schopenhauer greift Feuerbach nun auf den angeborenen Charakter zurück, 'Der Dichter muß dichten, der Philosoph philosophieren', der edle Mensch muß die rechte Handlung ohne Wahlfreiheit tun. Freiheit ist nun weder eine Frage des Intellekts noch des Willens, sondern des ganzen Wesens des Menschen in seiner Unbeschränktheit und Universalität (und wird damit eher in die Gattung als ins Individuum verlegt).

Etwa seit Mitte der fünfziger Jahre ist Feuerbach dann ganz auf eine deterministische Linie umgeschwenkt: 'Wenn ich in der Wahl oder Kollision zwischen zwei Dingen mich befinde, so werde ich mich immer für das entscheiden, was meinen vorherrschenden Neigungen, meinen charakteristischen Eigenschaften am meisten entspricht, und folglich mich frei fühlen, obgleich (oder vielmehr vielleicht gerade deswegen weil) ich notwendig mich so entscheide.' Dabei sieht er durchaus, daß im selben Individuum zu verschiedener Zeit und unter verschiedenen Umständen jeweils andere Bedürfnisse und daraus folgende Antriebe wirksam werden können. Die Nähe zur Schopenhauerschen Auffassung ist nicht zu übersehen, und so stimmt der Jüngere dessen deterministischen Auffassungen, die er jetzt kennenlernte, auch ausdrücklich zu: 'Gibt die Erfahrung, wie Kant behauptet, keinen Beweis von der Existenz der Freiheit, ja, kann sie selbst gar keinen Beweis von ihr geben, weil alles in der Erfahrung in notwendigem Zusammenhang steht, nun, so ist auch die Freiheit nur ein Gedanke von mir, und zwar ein Gedanke, der in gar keinem Zusammenhange mit meinem übrigen Denken steht.' Die Freiheit also nurmehr ein Gedanke, ein therapeutisches 'Arzneimittel' ähnlich der Rolle Gottes bei Kant.

Der (determinierte) Wille wolle zwar frei sein, aber nicht im Sinne von unbestimmter Schrankenlosigkeit, sondern als eudämonistischer 'Ur- und Grundtrieb', der in jeder Situation auf die Erfüllung der Bedürfnisse und Wünsche des Individuums gerichtet sei.(4)

Im Handeln hatte Schopenhauer bekanntlich einer strengen Determination das Wort geredet – die Freiheit verlegte er mit Kant als 'intellegible' ins Metaphysische. Damit entsteht das Problem, wie eine außerzeitliche 'intellegible Freiheit' des Menschen mit seiner empirisch-realen und determinierten Erscheinung zusammengebracht werden kann. Schopenhauer behauptet nun – woher immer er auch über solches Wissen verfügen mag –, daß jeweils im Falle der 'Individuierung die Entscheidung für diesen oder jenen intellegiblen Charakter freistehe.' Jede Person wählt nach dieser Vorstellung vor ihrer Inkorporierung den eigenen intellegiblen Charakter, der sie nach ihrem Eintritt in die empirische Welt determiniert. Diese absurde Konstruktion erinnert deutlich an den platonischen Seelenmythos; die Verantwortlichkeit des Menschen für seinen Charakter und die daraus entspringenden empirischen Handlungen werden so in eine 'vorbewußte Entscheidung' verlegt, wie immer diese auch gedacht werden soll.(5) Das Ungenügende einer solchen Begründung von 'intellegibler Freiheit' und individueller Verantwortlichkeit sah Schopenhauer wohl selbst ein, und so erweiterte er seine Überlegungen um ein beschwörendes Argument 'ad hominem': Das 'völlig deutliche und sichere Gefühl der Verantwortlichkeit für Das was wir thun, der Zurechnungsfähigkeit für unsere Handlungen, beruhend auf der unerschütterlichen Gewißheit, daß wir selbst die Thäter unserer Thaten sind' sei 'Thatsache des Bewußtseyns'. Diese Rückführung der Freiheit auf ein Gefühl wird natürlich nicht begründet, und kann auch angesichts der überwiegend unbewußten Anteile im emotionalen Bereich keinesfalls dafür herhalten: wie viele unserer Gefühle kann auch diese 'Gewißheit' eine grobe Täuschung sein oder auf kultureller Prägung beruhen.

Zu dieser metaphysischen Begründung der Verantwortung für eigene Handlungen insbesondere im Hinblick auf das Strafrecht meint Feuerbach zurecht, es handle sich dabei um eine 'supranaturalistische, ja, phantastische Imputationstheorie'. Im Gegensatz zur 'unerschütterlichen Gewißheit des Gefühls' ist es für ihn vor allem das rationale Wissen um die Konsequenzen eines Handelns, das die Verantwortung für dieses begründet. Kein empfindendes Tier wird für sein Tun bestraft, sondern derjenige Mensch, der wissend 'in die Sphäre der andern eingreife, ihnen ein Übel zufüge '

Nicht zu Unrecht nennt Böröcz(6) die rechtsphilosophischen Außerungen Schopenhauers ironisch 'den Höhepunkt seiner ‚praktischen Philosophie‘ – es ist ein kläglicher Höhepunkt, verglichen mit dem Feuerbachschen Denken:'

Unrecht ist für den Alteren die aggressive Überschreitung der 'Gränze fremder Willensbejahung', Gerechtigkeit ist die freiwillige Wahrung des Rechts, die letztlich vom Mitleid getragen wird, der weiter unten behandelten 'ethischen Grundpotenz im Menschen.'

Der Staat beruhe auf dem Staatsvertrag, um den Individuen 'den Schmerz des Unrechtleidens zu ersparen, dadurch, daß auch Alle dem durch das Unrechtthun zu erlangenden Genuß [entsagen]'. Er sei eine 'Zwangsanstalt' um der Gerechtigkeit willen, der 'einzige Zweck des Gesetzes [sei] die Abschreckung von Beeinträchtigung fremder Rechte.' Alle Vergeltung von Unrecht sei Rache und daher ethisch nicht zu rechtfertigen. Auch sei die Verhältnismäßigkeit von Tat und Strafe zu wahren. Die Resozialisierung von Straftätern lehnt er ab, da er auf Grund seiner Theorie von der Konstanz des Charakters eine Besserung nicht für möglich hält.

Eine solch letztlich utilitaristische Einstellung gegenüber dem Strafrecht als Mittel zum Schutz der Besitzenden (zu welchen sich Schopenhauer rechnete) verzichtet zwar darauf, den Staat als 'ethische Instanz' zu begreifen, der auf seine Bürger moralisch erziehend einwirkt (und sich schon oft dabei verirrt hat), aber sie wälzt die Verantwortung vollständig auf den Täter einer Tat, ohne danach zu fragen, inwieweit andere, außerhalb des Täters liegende Ursachen (Armut, Milieu, ungünstige Veranlagung) wirksam geworden sind und kann solche Ursachen auch damit gar nicht ins Auge fassen und verändern. Um dies zu unterstreichen, äußert sich Schopenhauer auf folgende Weise über das damalige amerikanische 'Pönitentiarsystem' – was doch sehr an heute häufig anzutreffende Stammtischargumente erinnert: 'Wolle man diese ‚palastartigen Gefängnisse, welche von den ehrlichen Leuten für die Spitzbuben erbaut wurden als Erziehungsanstalten betrachten [,] so ist zu bedauern, daß der Eintritt dazu nur durch Verbrechen erlangt wird; statt daß sie hätten diesen zuvorkommen sollen.‘'.

Feuerbach befaßt sich mit der wünschenswerten Ausgestaltung des Rechts erst später, wohl im Zusammenhang mit den Werken seines Vaters, des berühmten und progressiven Juristen Paul Johann Anselm Ritter von Feuerbach (gest. 1833)(7), die er zu Beginn der 50-er Jahre herausgab. Auch für ihn stellte sich ähnlich wie für Schopenhauer das Problem, die Determination des Menschen mit der rechtlichen Verantwortlichkeit für sein Handeln zusammenzubringen. Der Gedanke der Freiheit, den er oben bereits lediglich als 'Arzneimittel' bezeichnet hatte, sei im Zusammenhang mit dem positiven Strafrecht nichts anderes als eine 'Zufluchtnahme', um 'die Verantwortlichkeit, die Zurechnungsfähigkeit [zu] erklären.' Im Gegensatz zu Schopenhauer übergeht er vor allem nicht die psychologische Seite der strafrechtlichen Zuordnung: der normale Mensch, ebenso, wie er sich gerne für den alleinigen Urheber all seiner Verdienste hält, betrachtet den anderen als alleinigen Verursacher seiner Übeltaten – und verlegt damit die alleinige Verantwortung für sein Handeln in den Willen des Individuums, ohne sich 'um den Zusammenhang des Diebs mit dem Menschen', 'den Zusammenhang einer Handlung mit ihren Bedingungen' zu kümmern. Daraus ergeben sich für ihn vor allem drei Kritikpunkte:

1. das positive Recht ist keinesfalls 'objektiv', sondern dient immer auch vor allem dem Interesse der Herrschenden (zu seiner Zeit natürlich noch wesentlich stärker als heute).

2. Strafe sei vor allem – insbesondere auch noch zur damaligen Zeit oft unverhältnismäßige – Vergeltung.

3. Obgleich die vielfältige Determination des menschlichen Handelns meist nicht geleugnet wird, rechne man die Tat 'mit vagen metaphysischen Spekulationen' (Schopenhauer!) allein der Person des Täters zu.

Letzteren Widerspruch vermag allerdings auch Feuerbach selbst nicht überzeugend aufzulösen, er zieht sich im Zusammenhang mit seinem nun hervortretenden materialistischen Sensualismus und Eudämonismus auf die letztlich utilitaristische Position zurück: 'Wer einmal nicht gut und freiwillig den Glückseligkeitstrieb der andern anerkennt, ja selbst geradezu verletzt, der muß es sich auch gefallen lassen, wenn sie an ihm das Wiedervergeltungsrecht ausüben' – eine Variation der 'Goldenen Regel', 'was du nicht willst '

Wichtiger als rechtstheoretische Begründungen sind ihm offenbar praktische Vorschläge im Hinblick auf Prävention und Resozialisierung: 'Wollt ihr der Moral Eingang verschaffen, so schafft vor allem die ihr im Wege stehenden, materiellen Hindernisse hinweg!' Ganz wie sein Vater redet er jedoch keiner 'natürlichen Moral' das Wort, oder einer rigoristischen Ethik wie Kant, sondern im Namen des Menschen als Gattungswesen wird 'nicht Moral, sondern nur Recht oder nur die mit dem Recht identische Moral: Rechtlichkeit, mit andern Worten: nicht ‚Tugendpflichten‘, nur ‚Rechtspflichten‘' verlangt.

Schopenhauer bestimmte zunächst Gerechtigkeit als Unterlassen des Unrechttuns, während die 'eigentliche Güte der Gesinnung' in 'reiner' und uneigennütziger 'Liebe gegen andere' bestehe, die sich in der Unterstützung fremder Individuen äußere. Zu beidem gelange man in graduell variiender Weise mittels der Erkenntnis des Prinzips der Nichtigkeit der einzelnen Individuationen: bei vollständiger Durchdringung werde das Leben der anderen Menschen als dem eigenen gleichwertig angesehen. (Auch hier jedenfalls als Wurzel der Ethik die Einsicht der Vernunft in die Wesensgleichheit der Menschen!)

In 'Die beiden Grundprobleme der Ethik' von 1841 stellt er das Mitleid als zentrales Phänomen über diese beiden ethischen Haltungen; Gerechtigkeit sei dessen Ausfluß, wenn es verhindere, daß man fremdes Leid wolle, als Menschenliebe wird nun die 'thätige Hülfe' gegenüber anderen bezeichnet. Mitleid ist ihm gegenüber dem Egoismus sowie der Bosheit die einzige 'moralische Triebfeder' im Menschen. Wer ihm nun einwenden wollte, daß sich beim menschlichen Handeln grundsätzlich auch egoistische Motive im Spiel befänden, den kanzelte er damit ab, daß dann die Moralwissenschaft gar kein eigenes 'reales Objekt' besäße und mithin überflüssig sei. Das Schopenhauersche Mitleid als nonegoistische Handlung steht so vor der gleichen Schwierigkeit wie der rigorose Kantsche Pflichtbegriff – und damit im diametralen Widerspruch zur Feuerbachschen Fassung des 'tätigen Mitgefühls', der in seiner Hinwendung zum Sensualismus ausdrücklich vom Gefühl und Verstand des einzelnen ausgeht: 'Was nicht im Egoismus des Menschen wurzelt, hat keine Wurzel' Die Mitempfindung fremden Unglücks beruht für ihn auf der Vorwegnahme als eines möglichen eigenen, und tätige Hilfe sei quasi eine Art Vorschuß in der Hoffnung, im Falle eigenen Unglücks selbst solche zu erfahren. Er kritisiert am Alteren: Wie 'ist es möglich, zu verkennen, daß dem Mitleid selbst wieder der Glückseligkeitstrieb zugrunde liegt? nur weil ihm die Schmerzen anderer selbst wehetun oder wenigstens ihn in seinem Glücke stören, weil er sich selbst unwillkürlich ohne alle Berechnung wohltut, indem er ihm wohltut, leistet er ihnen tätigen Beistand Wer allen Eigenwillen aufhebt, hebt damit auch das Mitleid auf.'

Sowohl Feuerbach als auch Schopenhauer verheddern sich ganz offensichtlich in den unterschiedlichen Motiven, die aus Emotio, Verstand und Vernunft das Mitleid unterfüttern: Feuerbach stellt ganz auf die sensualistischen und soziabel-egoistischen Motive ab, mit denen im fremden Leid das eigene verneint und in der fremden Glückseligkeit die eigene bejaht werde; das frühere idealistische Vernunftfundament der Ethik ist vollständig aufgegeben. Schopenhauer hingegen sieht zwar einerseits die affektiven (Emotio) und egoistischen (Verstand) Anteile des Mitleids, akzeptiert diese Motive aber nicht als den Kern der Sache, der vielmehr in einer Identifikation mittels Erkenntnis gesucht werden muß – mithin in der existentiell akzeptierten Erkenntnis des gleichen Wesens aller Menschen, wie er schon eingangs formuliert hatte; es gelingt ihm (und Feuerbach) jedoch nicht, diese unterschiedlichen Sehweisen der drei Urteilsvermögen Emotio, Verstand und Vernunft in einer einheitlichen Ethik zu verbinden, vielmehr bleibt bei beiden immer noch ein unaufgeklärter Dualismus zwischen Vernunft und Gefühl zurück. Feuerbach behilft sich wie heute noch die Utilitaristen, indem er die ethischen Anteile der Vernunft, die auf der Einsicht in die Wesensgleichheit des Menschen beruhen, auf die Ebene der Nützlichkeit des Verstandes herunterholt; Schopenhauer hingegen mystifiziert die Ethik der Vernunft, indem er, nachdem er die emotionalen und egoistischen Motive aus ihr verwiesen hat, sie zuletzt auf die Erkenntnis der Nichtswürdigkeit stellt, der alle Menschen in gleicher (!) Weise unterworfen seien – die Vernunft wird zu einem Hilfswerkzeug, als ein 'Réservoir' von 'Grundsätzen', die ihr aus der einzigen moralischen Quelle, dem Mitleid herfließen und die Selbstbeherrschung gegenüber affektiven und egoistischen Motiven ausbilden.

Wenn Böröcz im weiteren den Konflikt zwischen Gerechtigkeit und Mitleid sowie das Verhältnis von Mitleid und Vernunft an Hand verschiedener widersprüchlicher Phänomene sowie mit Hilfe der Autorität von Drittmeinungen darzustellen sucht, fehlt ihm selbst der oben angedeutete 'rote Faden'. Nachdem er zuletzt eine Gründung der Ethik auf das Mitleid wegen sich daraus ergebender vieler problematischer Effekte ablehnt – steht Mitleid doch häufig im Gegensatz zur Gerechtigkeit, weil es in der Reaktion auf den Einzelfall die Gleichbehandlung unterläuft – und dabei beiläufig auf Tierrechtsfrage eingeht: sowohl Schopenhauer als auch Feuerbach räumen den Tieren, wenn auch aus unterschiedlichen Motiven, ein eigenes und unbeeinträchtigtes Existenzrecht ein – stellt er schließlich der Mitleidsethik Schopenhauers Feuerbachs 'Liebesethik' gegenüber.

Obwohl Feuerbach die Problematik der Liebe bekannt ist: daß sie häufig nicht (nur) selbstlos ist, sondern Besitzansprüche auf ihr Objekt erhebt, hält er an einer Entgegensetzung von Liebe und Egoismus fest, und dies, obwohl er den Zusammenhang von Liebe und Sexualität zwar wahrnimmt, aber seiner metaphysischen Ausdeutung von Liebe unterordnet: in diesem 'Trieb der Gattung' werde die egoistische Individualität aufgehoben als 'Selbstrealisierung der Gattung'. Was für Schopenhauer die Verneinung des 'Willens an sich' und das Mitleid, das ist für Feuerbach der Tuismus der Liebe und dessen Bejahung; im 'Wesen des Christentums' steht dafür der Begriff 'Herz', dessen 'Macht der Liebe' er durchaus auch dem Christentum konzediert. Von Grund auf verkehrt (im Wortsinne) ist die christliche Religion allerdings deshalb, weil die einzig wirkliche Menschenliebe erst im Umweg über die Gottesliebe erscheint – nichts wird dort um des Menschen, sondern alles um Gottes willen getan (mit dem weiteren Hintergrund eines egoistischen Motivs, des eigenen Seelenheils). In der echten ethische Gesinnung, die das Gute um des Guten willen tut, erhebt sich der Mensch zur Liebe zur Gattung, anstatt sich in der 'grundverderblichen' Illusion der Religion von den anderen Menschen abzusondern: 'Der Glaube hebt die naturgemäßen Bande der Menschheit auf.' Zu Recht stellt Böröcz fest: 'Feuerbach ging es demnach eigentlich ‚nur‘ darum, eine in der griechisch-römischen Antike bereits einmal verwirklichte ethische Gesinnung wiederherzustellen; sein Ziel war keine völlig neuartige Ethik.' Zunächst ungelöste Widersprüche ergeben sich jedoch aus den verschiedenen Definitionen des Liebesbegriffes, der einerseits auf das 'Herz', das 'natürliche Gefühl' wie auf den metaphysischen 'Trieb der Gattung' gestellt wird, sodann aber insbesondere dem intellektuellen Anspruch Feuerbachs an diese Liebe unterworfen wird: 'Nur wo Vernunft, da herrscht allgemeine Liebe.' Diese verschiedenen Formen von Liebe (wie sie – modern gesprochen – aus dem Trieb, der Emotio, dem Verstand und der Vernunft entspringen) werden sich selbst noch im einzelnen Individuum widerstreiten; Feuerbach aber überbrückt diese Widersprüche nur scheinbar, indem er all diese Formen metaphysisch auf die Gattung bezieht. So ist für ihn das 'Gemüt' die Sehnsucht 'selbst unendlich glücklich zu sein', und dies stehe als Wurzel des Glaubens im Gegensatz zum 'Herzen', dem Zentrum der Liebe. Erst im Zuge der Revision seines Denkens, mit der er den Egoismus als 'anthropologische Konstante' auffaßt, gelingt es ihm nach und nach, diesen auf einer metaphysischen Konstruktion basierenden Widerspruch aufzulösen: 'Wenn du den ‚Egoismus‘, d. h. die Selbstliebe, schlechtweg verdammst, so mußt du konsequent auch die Liebe zu andern verdammen. Lieben heißt andern wohlwollen und wohltun, also die Selbstliebe anderer als berechtigt anerkennen. Warum willst du aber an dir verleugnen, was du an andern anerkennst?' Selbstliebe meint hier allerdings weder einen solipsistischen noch überhaupt einen individuellen Egoismus, sondern wird verstanden als 'Liebe des Menschen zu sich selbst, d. h. die Liebe zum menschlichen Wesen.' Ist hier der Bezugspunkt der Liebe immer noch die Menschheit selbst, so gelangt er schließlich zu seiner tuistischen und materialistischen Formulierung: 'Die Liebe verlangt Gegenliebe Die innigste und vollkommenste Form der Liebe ist die geschlechtliche; aber man kann hier nicht sich selbst beglücken, ohne zugleich, selbst unwillkürlich, den andern Menschen zu beglücken, ja, je mehr wir den andern, desto mehr beglücken wir uns selbst. Worin besteht denn nun aber die Sittlichkeit der Liebe? nur darin, daß ich, indem ich mich selbst beglücke, zugleich das andere Ich beglücke .. Wie aber im Geschlechtsverkehr so ist im menschlichen Verkehr überhaupt durch die Natur der Sache die Befriedigung der eigenen an die Befriedigung der fremden Selbstliebe geknüpft.' Soziabler Egoismus und Liebe sind schließlich miteinander vereinigt.

Schopenhauers Pessimismus des 'Nolle'

Normalerweise würde man in der Verneinung des Willens zum Leben, etwa in der Aufopferung für andere, oder im notgeborenen Wunsch nach dem Lebensende, vor allem eine eigentliche Bejahung dieses Willens finden, wenn dieses Leben durch die Umstände Gefährdungen ausgesetzt ist.

Die eigentliche Schopenhauersche Verneinung meint denn auch kein Nein, hinter dem in Wirklichkeit ein Ja steht, sondern die vollständige Willenlosigkeit, die Resignation als 'Quietiv': 'das letzte Ziel, ja das innerste Wesen aller Tugend und Heiligkeit.' Diese Resignation sei das Ergebnis der bewußten Erkenntnis der Leidhaftigkeit des Lebens, dessen 'steten Vergehn, nichtigem Streben [und] innerm Widerstreit'.

Hier tut sich denn sogleich ein Widerspruch in der Mitleidsethik Schopenhauers auf, wenn Mitleid einerseits Folge der Einsicht in die strukturelle Leidhaftigkeit des Lebens sein soll, andererseits aus der nämlichen Einsicht heraus der Wille zum Leben resignierend verneint wird: mitleidige Handlungen bezwecken wohl immer Lebenserhaltendes, das Leben erträglicher Machendes, und wirken so lebensbejahend; außerdem ist nicht ersichtlich, wo dieses auf willenlose Ruhe seines Inhabers zielende resignierte Mitleid seinen Antrieb zur Tätigkeit hernehmen will.

Es kann nicht verwundern, daß es Schopenhauer bei einem solchen Fehlen jeglichen positiven Zieles bei gleichzeitiger Willenlosigkeit auf eine eigentliche Ethik gar nicht ankam; vielmehr müsse sich 'der Ethiker begnügen mit der Erklärung und Deutung des Gegebenen.' Die Resignation hat keine deontologische, auf Sollensvorschriften beruhende Ethik nötig, ihr letztes Ziel ist ja gerade die Erlösung der Welt vom Willen und damit die Aufhebung all dessen, was ist, darin besteht ja für ihn das eigentliche 'Heil' – wozu dann Vorschriften außer solchen, die 'bis dahin' den vor sich hin Resignierenden gegenüber denjenigen, die aus Uneinsichtigkeit(8) den Willen zum Leben bejahen, einigermaßen ein Auskommen sichern? So hat Schopenhauer in Wirklichkeit gar keine andere Wahl, als sich mit einer deskriptiven Ethik zu begnügen, die ihre Regeln aus der Determination der Individuen und dem 'Gesetz der Motivation' herleitet.

Feuerbachs spätere Ethik hingegen geht zwar ebenfalls von deskriptiven Regeln aus, was eine notwendige Folge der Revision seiner idealistisch-intellektuellen Anschauungen ist in der Akzeption der menschlichen Determination und des soziablen Egoismus; aber über Schopenhauer hinaus wendet er sich gegen den solipsistischen Egoismus und fordert dessen gesetzliche Abwehr. In Kenntnis des Einflusses von Bildung und materiellen Verhältnissen der Umwelt gehört es für ihn, der auf die Herstellung von würdigeren Bedingungen für alle Menschen setzt, zu den ethischen Pflichten, vor allem auf diesen beiden Feldern für Verbesserungen zu arbeiten. Schopenhauer hingegen ist daran nichts gelegen – wie auch? Andert das ja für ihn an der grundsätzlichen willensbasierten Leidenskonstitution nichts, und es würde natürlich vor allem das Geld der Besitzenden kosten, denen er sich – ängstlich auf das Eigene bedacht – zurechnete.

Dann bleibt aber doch vor allem die Frage nach dem Schopenhauerschen Motiv offen, überhaupt eine Ethik zu schreiben – statt vor sich hin zu resignieren? Natürlich will auch er selbst wirken, gerade und vor allem mit seinen Außerungen zum Zusammenleben von Mensch und Welt – er ist darin alles andere als 'uninteressiert', er will seine Leser mit seinen Aussagen, seinen Beweisführungen und nicht zuletzt seiner ausgezeichneten Prosa überzeugen und ist von der höchsten Bedeutsamkeit und vom Sieg seiner Auffassung überzeugt.

Die Problematik dieser Resignationslehre wird auch daraus deutlich, daß sie bezeichnenderweise ein wichtiges Moment mit der 'unio mystica', der mystischen Einung teilt, wie sie etwa von den Mystikern des Mittelalters geschildert wurde. In beiden Fällen ist nämlich dieser Zustand der vollständigen Resignation bzw. der 'unio mystica' kein andauernder; vielmehr muß sie 'durch steten Kampf immer aufs Neue errungen werden' (Schopenhauer). Und so verwundert es keineswegs, daß er nicht ansteht, zur Beförderung des Nolle 'die Lektüre von Heiligenviten' anzuempfehlen Was doch sehr bedenklich stimmt, wenn man etwa an die ganz parallelen Vorschriften eines Ignatius von Loyola denkt, sich in das Leben Jesu zu versenken. Hier wird ja nicht auf den Intellekt gewirkt, hier geht es nicht um Erkenntnis, sondern um eine emotionale Überformung, um die Aufgabe der eigenen Identität mittels meditativer Praktiken.

Daher besteht für Schopenhauer auch – ganz parallel wie in der 'unio mystica' – in der Resignation die eigentliche Freiheit: Dadurch werde der 'Wille an sich', der intellegible Charakter des resignierenden Individuums völlig aufgehoben und es 'der Wirkung der Motive entzogen'. Zu Recht stellt Böröcz fest, daß eine solche Freiheit sich von deren normaler Definition als Wahl zwischen Handlungsalternativen von Grund auf unterscheidet, sie läuft auf gänzliche Passivität hinaus, also auch auf das Unterlassen von mitleidigen Handlungen.

Der grundsätzliche Selbstwiderspruch in der Schopenhauerschen Theorie des Nolle ist im Verhältnis vom 'Willen an sich' und der intellektuellen Erkenntnis der Vernunft zu finden: Die Vernunft ist für ihn, wie oben bereits ausgeführt, selbst nichts anderes als eine Objektivation dieses 'Willens an sich', also ein Teil des 'Willens zum Leben', seiner Bejahung und Ergreifung; Schopenhauer hätte nun zeigen müssen, wie es dieser (sich durchaus evolutionär entwickelnd gedachten) Vernunft gelingen könnte, sich aus der Abhängigkeit des sie selbst hervorbringenden Willens zu lösen; er will den Schwanz mit dem Hund wackeln lassen, weil er an sich selbst wahrnimmt, daß es seine Vernunft ist, die in der Verallgemeinerung der Schopenhauerschen Individualität und dessen 'intellegiblen Charakters' die Welt verneint, weil sie sich in ihr nicht 'aufgehoben' fühlt – hinter dieser angeblichen Erkenntnis und überheblichen Verallgemeinerung des Individuellen steht immer noch ein Wille, der mit sich alles in die 'Erlösung des Nichts' ziehen möchte, wo Idealisten den Fortschritt hin zur besten aller Welten ansetzen. Da er diese contradictio in adjecto nicht auflösen kann, ist er genötigt, auf ältere Muster solcher 'asketischen Ideale'(9) wie der 'unio mystica' zu rekurrieren oder uns die Zuflucht im 'interesselosen' Hören von Musik anzuempfehlen – ohne uns allerdings deren Wirkungsmechanismus zu erläutern, nein, rein auf diese Beispiele hin sollen wir glauben, weil sie bei Schopenhauer selbst die entsprechende Wirkung auslösten.

Ganz anders sieht das Verhältnis zwischen Wille und Vernunft bei Feuerbach aus: Zwar hatte er in seiner Frühzeit die 'Macht der Idee' über den 'Organismus' behauptet, wenn sich etwa der Held seinem Ideal opfert, doch bald hatte er auch hinter solchen Handlungen das eudämonistische und eigentlich Lebensbejahende erkannt; er verneint daher jedes vom 'Glückseligkeitstrieb' unabhängige, metaphysische Motiv, denn wo dieser Trieb nicht vorhanden, ist 'auch kein Wille, höchstens ein Schopenhauerischer, d.h. ein Wille, der nichts will.' Konsequent und psychologisch zu Recht verrechnet er gerade auch das Nichts und das buddhistische 'Nirvana' unter die 'Erfindungen des Glückseligkeitstriebes' – nämlich als Wunscherfüllungen der Aufhebung des Leidens in der Vorstellung der Vernunft.(10)

Das 'Glück der Askese' , das auch Schopenhauer bestätigt(11), ist in Wirklichkeit nur die Umkehrung des sinnlichen Glücks des Verstandes in der Abstraktion der Vernunft – das Genügen der Vernunft an sich selbst unter aller Abkehr vom Sinnlichen – keine Frage, daß der späte, vom Sensualismus ausgehende Feuerbach hier zum Widerpart Schopenhauers werden mußte. In einer allzu einseitigen Überspitzung liest sich das bei ihm dann so: 'Die Entsagung, die Resignation, die ‚Selbstverleugnung‘, die Abstraktion macht den Menschen finster, verdrießlich, schmutzig, geil, feig, geizig, neidisch, tückisch, boshaft, aber der Sinnengenuß heiter, mutig, nobel, offen, mitteilend, mitfühlend, frei, gut.'

Beiden Denkern fehlt es hier wie schon oben an einer rechten Verbindung zwischen dem 'Glückseligkeitsstreben' von Verstand und Vernunft, sie setzen auf die jeweils entgegengesetzte Position, anstatt zu sehen, daß dies eine Frage der individuellen Anlagen und Begegnisse ist, wie sehr durch diese die Reflexion des Individuums herausgefordert wird, und daß viele verschiedene Formen des Glückseligkeitsstrebens nebeneinander bestehen – das 'einzig wahre' Glück bzw. Heil kann und darf es in einer Welt der Individuen nicht geben.

Feuerbach reagiert über diese einseitige Propagierung des sinnlichen Glücks hinaus auf die unübersehbaren Leiden in der Welt im Gegensatz zur (letztlich solipsistischen) Schopenhauerschen Resignation damit, daß er deren Verminderung und eine Besserung der empirischen Situation des Menschen mittels dessen Vernunft fordert. Schopenhauers 'größtes Verdienst' um die Ethik nennt es Böröcz, 'daß er den Blick nicht abgewandt hat vom Elend der Welt, sondern dasselbe ungeschminkt ins Bewußtsein seines Publikums zu zerren bemüht war', etwa am Beispiel der Sklaven, des Proletariats und der Tiere. Zu Recht bezeichnet er allerdings dessen Resignation als 'voreilige Mutlosigkeit, welche mit moralischem Handeln nichts gemein hat.'

Allerdings treibt Böröcz die Toleranz mit der Schopenhauerschen Willensmetaphysik zu weit, wenn er meint, diese sei zwar nicht beweisbar, aber auch nicht widerlegbar, daher sei sie 'legitim' – dann ist auch der Gottesglaube und jeder sonstige Aberglaube, soweit er nicht widerlegbar ist, 'legitim'. Alle Phänomene, die sich (angeblich) 'außerhalb von Raum und Zeit' befinden, also alle falsche Metaphysik, ist a priori unwiderlegbar, da sich auf einer solchen Ebene für in Raum und Zeit befindliche Menschen weder etwas dafür noch etwas dagegen sagen läßt, es handelt sich um reine Behauptungen. Dahinter steht immer noch der von Kant ausgehende Glaube an das 'Ding an sich', das unserer beschränkten Erkenntnis nicht zugänglich sei. Dem ist zu erwidern: Diese geheimnisvollen und unerkennbaren 'Dinge an sich' gibt es nicht, unsere Sinne und unser Erkenntnisvermögen sind so, wie sie sind, weil die Dinge so sind, wie sie sind – die Interaktion in der Welt schafft die Dinge wie die Sinne und die auf jenen basierenden Interpretationsvermögen; wofür sollten 'unerkennbare Dingeigenschaften' gut sein, woher sollten sie kommen, wenn sie in dieser innerweltlichen Interaktion keinerlei Bedeutung haben, außer vielleicht für einen Gott? Alles, soweit und wie weit es in dieser Welt interagiert, ist auch erkennbar – es bleibt kein Platz für das 'Ding an sich', außer in einer natürlich nicht zu widerlegenden 'außerweltlichen' Metaphysik, eben 'bei Gott'.(12)

Zuzustimmen ist Böröcz bei der abschließenden Beurteilung dieser 'Willensmetaphysik': er nennt sie eine 'Infamie', da sie im Hinblick auf ethisches Verhalten nicht nur auf Grund der Resignation nichts zu Verminderung und Besserung des Leides in der Welt beitrage, sondern im Gegenteil, aus 'der Sicht des Philosophen Schopenhauer sollte es also möglichst viel Leid in der Welt geben: Je leidhafter sich das Leben darstellt, desto eher wird der Wille zum Leben verneint, also das Ziel der Ethik erreicht, eben die Resignation.'

Feuerbachs Reformkonzept

Demgegenüber zielen alle Vorschläge Feuerbachs, wenn er sich seit den frühen Vierzigern über die Kritik der bestehenden Anschauungen vor allem innerhalb der Religion hinausbewegt und die Konsequenzen aus seiner Umkehrung des Gottesbilds zum Menschenbild, aus der Akzeption des (soziablen) Egoismus und des Sensualismus zieht, auf eine Umwälzung der herrschenden Verhältnisse durch Fortschritt, insbesondere durch die Hebung der Bildung in den breiten Schichten. Ist es für ihn doch vor allem fehlendes Wissen in den Köpfen der Individuen, was sie hindert, das Rechte überhaupt auch nur sehen und damit wollen zu können.

Der religiöse Glaube im Sinne hergebrachter Religionen ist ihm vor allem ein Bildungshemmnis, der die Entwicklung einer echten Persönlichkeit verhindert. Bereits im 'Bayle' sagt er: 'Erkennen wir, daß es kein Heil für die Menschen außer der Vernunft gibt! Der Glaube mag den Menschen beseligen, beruhigen; aber soviel ist gewiß: Er bildet, er erleuchtet nicht den Menschen; er löscht vielmehr das Licht im Menschen aus, um angeblich ein anderes, übernatürliches Licht an seine Stelle zu setzen.' Wahre Sittlichkeit ist für ihn eine Frage der Autonomie des Individuums, das ohne eigene Erkenntnis und damit ohne Bildung nicht zu haben ist: 'Ich bin nur dann Mensch, wenn ich aus mir selbst das Menschliche tue, wenn ich die Humanität als die notwendige Bestimmung meiner Natur, als die notwendige Folge meines eigenen Wesens erkenne und ausübe.'

Es sei allerdings darauf verwiesen, daß sich hinter dieser noblen Haltung Feuerbachs immer noch Idealismus verbirgt; denn hier wird eine Art 'Automatik' unterstellt, daß mehr Bildung von selbst zu mehr Humanität führen werde. Inzwischen haben wir uns eines Besseren belehren lassen müssen, daß Bildung nicht nur nicht vor unsittlichem Verhalten schützt, sondern sogar, etwa in der instrumentellen Steigerung von bloßer technischer Effizienz im Dienst der Inhumanität stehen kann. Bildung allein kann keine Garantie für eine Humanisierung der Menschen liefern, ist aber sicherlich eine wichtige Voraussetzung.(13)

Böröcz diskutiert denn auch in diesem Zusammenhang das Verhältnis von Religion und Ethik mit dem sicherlich richtigen Ergebnis, daß Religion für Ethik keine notwendige Voraussetzung sei und daher diese von der rationalen Bildung durchaus verdrängt werden könnte, wenn letztere zumindest das nämliche leiste wie ehedem die Religion – und das zumindest sollte ihr nicht schwer fallen. Gleichzeitig übersieht er die Problematik der rationalen Bildung nicht und demonstriert das an dem Streit zwischen Newton und Leibniz über die Ersterfindung der Infinitesimalrechnung, der von Newton über Jahrzehnte erbittert geführt wurde und nach Leibniz Tod Newton äußern ließ, 'es sei für ihn eine große Befriedigung gewesen, ‚Leibniz das Herz gebrochen‘ zu haben.'

Wie sich empirisch zeigt, kann Vernunft allein humanes Verhalten nicht garantieren, andererseits ist letzteres gar ohne jene, etwa im Rahmen der Religionen, möglich. Jedoch sind es gerade häufig die Religionen, die ihre Mitglieder zu diskriminierendem und inhumanen Handlungen anleiten, was darauf verweist, daß auch sie kein Garant der Ethik sein können. Erhebt sich die Frage nach dem 'Tertium datur'? Feuerbach spricht in diesem hier gemeinten Sinne von einer 'Religiosität' ohne Religion, er erhebt den Menschen selbst zum Gegenstand der Religion, ganz offenbar in der angesprochenen Richtung, daß weder die Vernunft noch die Religion per se ipsum Humanität bewirken werden, sondern daß hier noch ein Drittes erfordert werde: innere Leidenschaft, die Liebe zum Mitmenschen als 'Du', welche Beziehung des Individuums auf den Mitmenschen und als Gattung Voraussetzung auch noch des eigenen Ich ist, wobei unter 'Gattung' zuletzt vor allem auch dasjenige verstanden wird, was als Möglichkeiten im Menschen vorhanden und als empirischer Charakter des Individuums auszuwickeln sei. Von hier aus sieht Feuerbach optimistisch in die Zukunft sowohl für die Entwicklungsfähigkeit des Individuums wie der Gattung.

Im Verhältnis zwischen Glaube und Wissen, Religiosität und Vernunft stehen beide Denker, Schopenhauer und Feuerbach, selbstverständlich auf Seiten der Vernunft, weil dasjenige, was man wissen könne, nicht geglaubt zu werden brauche; das zu Glaubende sei gerade das Absurde, das sich dem Wissen widersetze – und so sei die Wissenschaft der Feind des Glaubens: ' weil nämlich das Wissen aus einem härteren Stoff ist, als der Glaube, so daß, wenn sie gegen einander stoßen, dieser bricht.'(14)

Und so definierte Feuerbach konsequent (und im Gegensatz zu Schopenhauer) die Bildung der Menschen als Staatsziel und wies der Politik damit eine ethische Aufgabe zu; mystifizierte er zunächst im Gefolge Hegels den Staat ('der absolute Mensch'), so bezeichnete er sich anläßlich der Revolution 1848 als 'Republikaner dem Prinzip nach', die Republik ist ihm 'die einzige, der Würde des menschlichen Wesens entsprechende Staatsform'; hielt er zu Revolutionsbeginn eine konstitutionelle Monarchie noch für akzeptabel, wenn sie den Menschen Freiheit gewährte, so öffnete ihm der schmähliche Ausgang der Demokratiebewegung die Augen. 'Weder die Politik, noch der Staat für sich selbst ist Zweck. Der Staat löst sich in Menschen auf, ist um der Menschen willen.' Er erwartet zwar nicht, den 'jüngste[n] Tag der Monarchie und Hierarchie' noch selbst zu erleben; aber in den Heidelberger 'Vorlesungen' verschmilzt er nun seine Auffassung von Natur und Religion, Mensch und Politik so: 'Die Natur hat keinen Anfang und kein Ende. Alles steht in ihr in Wechselwirkung; alles ist relativ, alles zugleich Wirkung und Ursache; wie die Republik die geschichtliche Aufgabe, das praktische Ziel der Menschheit, so ist das theoretische Ziel des Menschen, die Verfassung der Natur als eine republikanische zu erkennen, das Regiment der Natur nicht außer sie zu verlegen, sondern in ihrem eigenen Wesen begründet zu finden.'

Kein Wunder, daß der Urheber solcher Außerungen in den Blick der 'Ordnungshüter' geriet; 1851 in Bruckberg notierte er: 'Fast täglich kommen Gendarmen hierher', sogar mit einer 'Ausweisung' rechnete er. Aber Feuerbach war natürlich kein gewaltbejahender Revolutionär wie etwa Marx – wenn er auch einst betont hatte, daß eine neue Epoche sich ohne Rücksicht auf das vor ihr Bestehende durchsetzen solle und müsse –, er befürwortete vielmehr seit 1848 den friedlichen Fortschritt im Wege der Bildung. Dies umso mehr, als er diesen 'Fortschritt' als quasi unausweichlich heraufziehen sah, einerseits durch die Zunahme des mittels der Naturwissenschaften zutage geförderten Wissens, zum andern im Sieg des 'Egoismus der jetzt unterdrückten Mehrheit der Menschheit', und die seitherige Entwicklung wenigstens in den westlichen Demokratien bestätigt in mancher Hinsicht seine vorwegnehmende Sehweise.(15)

Idealistisch und etwas naiv ist es allerdings, wie oben schon gesagt, eine Automatik zwischen Bildung und Wissenschaft, Ethik und Politik anzunehmen; im letzten Grunde liegt das daran, daß auch noch Feuerbach über keine wirkliche Anthropologie verfügt, was der Mensch wirklich ist(16), sondern ein Menschenbild unterstellt, wie er selbst 'den Menschen' als Zukunftsprojektion vorstellt (hier trifft ihn die Stirnersche Kritik teils zu Recht). So läßt er insbesondere die wichtigste Frage völlig außer Acht, ob überhaupt und inwieweit alle Menschen in gleicher Weise bildbar, und wenn dieses, ob auch bildungswillig seien. Auch werden die Folgen einer zunehmenden Breitenbildung idealisiert, ohne einen Gedanken daran zu verwenden, welche Erscheinungen für die Gesamtgesellschaft damit verbunden sein könnten, also etwa steigende Ansprüche an den Lebensstandard, Ablehnung von 'niedrigen Arbeiten' etc.: soziabler Egoismus des utilitaristischen Verstandes verwandelt sich nicht per se ipsum in angewandte Humanität und Ethik der Vernunft.

Insbesondere im Zusammenhang mit der 48er Revolution äußerte sich auch Schopenhauer zur Rolle des Staates: in der Natur herrsche zwar Gewalt, und so zunächst auch zwischen den Menschen, was die 'Masse' als solche in Vorteil brächte; aber da das Volk ein 'ewig unmündiger Souverain' sei, 'unwissend, dumm und unrechtlich', so müsse dessen 'physische Gewalt der Intelligenz, der geistigen Überlegenheit' unterworfen werden. Zweck des Staates sei es, daß 'möglichst wenig Unrecht im Gemeinwesen' herrsche, zugunsten des Gemeinwohls darf der Staat gar Unrecht tun. Auch bevorzugt er einen aufgeklärten monarchischen Absolutismus, weil sich nur so auf die Länge die Menschen zügeln und regieren ließen, was er gar auf einen 'monarchischen Instinkt im Menschen' zurückführt. 'Republiken hingegen seien ‚widernatürlich, künstlich gemacht und aus der Reflexion entsprungen‘' – 'überall muß Ein Wille der leitende seyn.'

Soviel er sich sonst auf die Reflexion der Vernunft und deren Erkenntnis zugute tut – etwa daß deren Tätigkeit Voraussetzung zur Aufhebung des Willens sei –, wenn es ihm aus ganz anderen Motiven heraus beliebt, verleumdet er diese selbe Erkenntnisfähigkeit zugunsten einer angeblich natürlichen Ordnung. Posthum ließ er – quasi als eine Art Vermächtnis – folgende von 1839 datierende Aufzeichnung in Parerga und Paralipomena Bd. II aufnehmen: 'Will man utopische Pläne, so sage ich: die einzige Lösung des Problems wäre die Despotie der Weisen und Edelen einer ächten Aristokratie, eines ächten Adels, erzielt auf dem Wege der Generation, durch Vermählung der edelmüthigsten Männer mit den klügsten und geistreichsten Weibern. Dieser Vorschlag ist mein Utopien und meine Republik des Plato.' Diese bereits 2500 Jahre alte Utopie feierte ja zuletzt erst in der Sloterdijkschen 'Menschenpark'-Debatte fröhliche Urstände, wenn sich 'auserlesene Philosophen' und Naturwissenschaftler in die Leitung der Menschheit teilen sollten, um gentechnisch (statt bloß 'züchterisch' wie noch bei Platon und Schopenhauer) den 'neuen Menschen' vorzubereiten.

Uns Modernen steht jedenfalls die 'Utopie' eines Feuerbach wesentlich näher, wie sich etwa aus folgendem Zitat herauslesen läßt (Theogenie 80; 316): 'Der Mensch soll nicht gut sein, um selig zu werden; nein, aber er soll selig sein, um gut zu sein, denn er kann nicht gut sein, wenn er nicht selig oder glücklich ist; Gutsein hängt vom Wohlsein ab. Die Moral, die es nur mit Begriffen zu tun hat, mag die Glückseligkeit von der Tugend abhängig machen, aber das Leben, wo nicht Begriffe, sondern empfindende, bedürftige, verlangende Wesen entscheiden, macht es umgekehrt und hat recht.'

Schopenhauer dagegen blieb Zeit seines Lebens ein Gegner des Sozialstaatsgedankens, vielmehr sei es richtig, daß die 'Führer' (worunter er etwa alle höheren Berufe des Bürgertums einschließlich natürlich der Philosophen verstand ) von körperlicher Arbeit, Mangel und Unbequemlichkeit befreit sein müßten und gemäß ihrer 'viel größeren Leistungen, mehr besitzen und genießen müssen, als der gemeine Mann', obwohl er selbst wußte und auch niederschrieb, daß unter diesen Umständen jener 'gemeine Mann' 'übermäßig belastet' und 'elend' sei

Feuerbach zog dieser Situation gegenüber eine andere Konsequenz: er trat in die Sozialdemokratische Arbeiterpartei ein, um auch damit ein Zeichen zu setzen, daß er gewillt war, an einer Umgestaltung der Realität zugunsten aller Menschen durch Werk und Tat mitzuwirken.

Böröcz stellt zu Recht fest, daß der Feuerbachsche Ansatz im Gegensatz zur 'Exotik' des Schopenhauerschen schnell trivial wirken kann (wie dies schon vorher auch Klaus Löwith bemerkte) – aber dies doch nur deshalb, weil zumindest in den letzten 50 Jahren sich die europäischen Gesellschaftsverhältnisse in der von ihm befürworteten Richtung entwickelt haben, wir selbst viel von dem, was für Feuerbach noch Utopie war, als Realität erleben.

Die Schopenhauersche Ethik, wenn sie denn diesen Namen überhaupt verdient, war von Anfang an, bedingt durch ihr Fundament des zu verneinenden Willens zum Leben, restaurativ auf die Aufrechterhaltung des Status quo gerichtet – der insbesondere auch ihrem Künder das Überleben im ererbten Wohlstand sichern sollte –, garniert mit dem Wunsch, daß es unter den Menschen möglichst gerecht und mit so wenig Leiden wie möglich zugehen solle; dies aber nicht auf Basis eines gleichen Anspruchs auf Lebensglück aller Menschen, was vernünftigerweise das einzige Fundament der Ethik sein sollte, sondern unter Spaltung der Gesellschaft in eine elitäre Gruppe des Geistes, der Macht und des Geldes auf der einen Seite, der Masse, der 'Farbrikwaare' Mensch auf der anderen. Dies wird damit begründet, daß sich jeder einzelne Mensch' seinen 'intellegiblen Charakter' selbst wähle und somit für seinen empirischen Charakter dann auch selbst die Folgen zu tragen habe. Eine solche Auffassung, die den gesellschaftlichen Bedingungen des Menschen und deren Einflüssen auf das Individuum nicht Rechnung trägt, ist am Grunde selbst mitleidlos und untragbar, insofern sie zu einer humanitären Verbesserung der menschlichen Lebensverhältnisse nur marginal beiträgt, um im Gegenteil unhaltbare und durch nichts zu rechtfertigende Zustände festzuschreiben – und damit die Mehrzahl der Menschen an der Entfaltung ihrer Individualität hindert und damit leidvergrößernd wirkt.

Das eigentliche Hauptanliegen Feuerbachs ist zunächst nicht die Ethik, sondern als deren Voraussetzung erst einmal die rechte Stellung des Menschen zu sich selbst, insbesondere im Hinblick auf die Religion. Dieser Problematik galten seine Werke von den 'Gedanken' bis hin zur 'Theogonie'; aber natürlich mußte er notwendig darauf aufmerksam werden, daß die Ethik mit dem Wegfall der Religion auf ein neues Fundament gestellt werden mußte. Als erstem Philosophen gelingt es ihm, ein sich auf den Menschen als solchen gründendes materialistisches und sensualistisches Konzept zu entwickeln, das sich einerseits auf den soziablen Egoismus der Individuen stützt, andererseits die Verwirklichung dieses Individuums auf das konkrete 'Du' des anderen Menschen und insgesamt auf die weitere Entwicklung der Gattung Mensch verweist. Im 'Tuismus' wird daher die Religiosität der hergebrachten Religionen ersetzt durch eine 'Religion der Liebe' zum Menschen, welche im Verein mit der Bildung die Tragfähigkeit dieser neuen Ethik gewährleisten soll. Dabei blieb es nicht aus, daß Feuerbach, ganz anders als Schopenhauer, sein Augenmerk auch auf den Zusammenhang des Individuums mit Politik und Wirtschaft richtete, die ja den 'Raum' des Glückseligkeitsstrebens des Einzelnen gewährleisten (oder nicht) und daraus folgend auch dessen Möglichkeit beeinflussen, sich moralisch zu verhalten (oder nicht).(17)

Die daraus hervorgehenden sozialreformerischen Ansätze Feuerbachs sind in den von ihnen erhofften Wirkungen allzu idealistisch und optimistisch, da sie weder mit der gesellschaftlichen noch individuellen Wirklichkeit des Menschen in Deckung zu bringen sind. So hat die Bildungsmöglichkeit für breiteste Schichten eben nicht per se dazu geführt, die Gesellschaften zu humanisieren – da könnte man eher schnell geneigt sein, der Schopenhauerschen Resignation und dem Goetheschen Wort zuzuneigen, daß das Tun des Menschen allzeit das Gleiche bleibe, wenn sich auch dessen Form wandle. Und die Akzeption des Egoismus als eines der Fundamente der Ethik führt nicht automatisch über dessen Soziabilität hinaus zu 'wahrer Liebe', ganz im Gegenteil läßt sich – je weniger auf ein zentrales vernünftiges Prinzip der Ethik gesetzt wird, etwa im Utilitarismus – eine Abnahme des soziablen Anteils hin zum solipsistischen Egoismus beobachten, der nicht nur die Ungleichheit der Menschen selbst, sondern vor allem auch die Ungleichheit zur individuellen Interessenverwirklichung verstärkt.

Die beiden Aspekte Bildung und (Menschen-)'Liebe' und die daraus hervorgehenden sozialen Reformen weisen mithin sicherlich auch heute noch in die richtige Richtung, sind keinesfalls überflüssig, aber sie beschreiben offenbar noch nicht dasjenige vollständig, was eine wirksame Ethik der Vernunft erst ausmachen würde und auf deren Suche man denn auch heute noch ist.

Wer sich für Philosophie interessiert, kommt an derjenigen des 19. Jh. nicht vorbei, in der die heutigen herrschenden geistigen Strömungen bereits vorweggenommen sind; dies gilt insbesondere für die beiden Antipoden Schopenhauer und Feuerbach – hier das letzte metaphysische System der Philosophiegeschichte, das sich sowohl vom Geist wie von der Materie ins Nichts abwendet und damit die alte Dualität der beiden aufzuheben sucht, sich als Schlußstein dieser Antithetik sieht, deren idealistischen bzw. materialistischen Höhepunkt Hegel und Marx im selben Jh. ausbildeten. Dort der erste Versuch eines radikalen Bruches mit der hergebrachten Metaphysik vor allem in Form der Religion, der den Menschen auf sich selbst verweist, auf sein Streben nach Glück in dieser Welt, dem im Entwicklungsgang der Feuerbachschen Philosophie alle seine Vermögen von der Empfindung bis zur Vernunft dienstbar gemacht werden. Es ist daher ein wenig verwunderlich, daß im heutigen angelsächsischen Utilitarismus und Pragmatismus jener erste große Ansatz in diese Richtung kaum wahrgenommen wird. Wer sich für diesen Umbruch, der so in großem Maße auch heute noch das Denken der Menschen bestimmt, interessiert, dem kann das Buch von Böröcz empfohlen werden, das die Grundzüge der ethischen Anschauungen beider Philosophen mittels einer Fülle von Zitaten vorstellt und in einigen Exkursen mit den Hauptgesichtspunkten des modernen Denkens verbindet, und beide Philosophien, sowohl was ihre tragfähigen Gedanken, aber auch was ihre Schwächen anlangt, nachvollziehbar und fair bewertet.

Anmerkungen:

(1) Münsteraner Philosophische Schriften Bd. 2. LIT Verlag Münster, ISBN 3-8258-3518-9, 304 S., DM 69.80

(2) Dies nimmt das Grundprinzip der utilitaristischen Ethik etwa eines Peter Singers vorweg, deren Basis eine gleiche Berücksichtigung der Interessen rationaler und empfindender Lebewesen bildet.

(3) 'Im Widerspruch mit dem Glückseligkeitstriebe handeln, die Glückseligkeit aufopfern, heißt daher – wenn anders diese Selbstaufopferung nicht bis zum Selbstmord sich versteigt – nichts anders, als die Nebensachen der Hauptsache, die Arten der Gattung, die niedern Güter höhern, Entbehrliches, wenn auch noch so Liebes und Gutes, noch so schmerzlichst Entbehrtes, dem Unentbehrlichen, dem Notwendigen aufopfern.' in: Ludwig Feuerbach, 'Zur Moralphilosophie' (1868), Gesammelte Werke, Hg. W. Schuffenhauer, Band 16, Nachlaß IV: Studien, Kritiken und Aphorismen. Mein besonderer Dank gilt Herrn Prof. Dr. W. Schuffenhauer für den Hinweis auf diese die Ethik Feuerbachs zusammenfassende Spätschrift und die Ermöglichung, bereits vor Erscheinen des entsprechenden Bandes der GW in diese Einsicht nehmen zu dürfen. Zitiert als: Ludwig Feuerbach, 'Zur Moralphilosophie', kritisch revidiert von W. Schuffenhauer, Vorausedition ad usum collegialem, S. 21.

(4) Im Jahr 1869 'resümierte Feuerbach über die Willenfreiheit: ‚Ich unterscheide mich nur dadurch von den Deterministen, daß ich keinen abstrakten, metaphysischen Determinismus kenne, sondern nur einen durch den Glückseligkeitstrieb bestimmten; daß ich nur in diesem Triebe – den freilich auch die Deterministen, aber in ihrer Weise zu Grunde legen – die naturhistorisch oder wissenschaftlich begründete und begründbare Basis des Willens finde. Und diese naturhistorische Grundlage ist die Hauptsache.‘' (L. Feuerbach, 'Zur Moralphilosophie', a.a.O. S. 8)

(5) Sch. geht sogar soweit, eine Art Seelenwanderung, 'Palingenesie' anzunehmen, da das 'wollende Moment' der Seele nicht untergehe und ihm eine ewige Abfolge von 'Lebensträumen' gegeben sei. Hier schimmert deutlich das platonische Muster der Wiedergeburt durch, wie es sich auch im Buddhismus konkretisiert hat.

(6) Böröcz weist ausdrücklich darauf hin, daß er zur Bewertung der jeweiligen Standpunkte von der eher im angelsächsischen Raum üblichen 'Common sense-Philosophie' ausgeht.

(7) P. J. A. Feuerbach kritisiert das Naturrecht; Recht ist für ihn positive Setzung durch den Menschen, das daher zu seiner objektiven und konsequenten Durchsetzung auch keinesfalls mit Moral verwechselt werden dürfe.

(8) An dieser Stelle ist übrigens Schopenhauer selbst widersprüchlich, wenn er behauptet, auch eine Bejahung des Willens zum Leben sei nur aus vollständiger Erkenntnis möglich; wenn die Bejahung und die Verneinung beide auf gleichen 'Erkenntnistatsachen' bei vollständiger vernünftiger Durchdringung derselben beruhen, die ja insbesondere in der Erkenntnis der unaufhebbaren Leidhaftigkeit besteht, so ist daraus klar ersichtlich, daß es, bei gleicher Ausgangslage, eben gerade nicht die Vernunft sein kann, die zu einer Verneinung nötigt – die Vernunft selbst kann nicht zum gleichen Sachverhalt einmal Ja und einmal Nein sagen. Wenn die Verneinung das einzig Richtige sein soll, so kann die Bejahung nur in einer falschen Einsicht auf Grund ungenügender Selbstreflexion erfolgen.
Dieses Entscheidungsproblem der Vernunft scheint auch Schopenhauer bemerkt zu haben, und so steht er nicht an, den Entschluß zum 'Nein' geradezu als 'Gnadenwirkung' zu bezeichnen, diese Erkenntnis 'kommt daher plötzlich und wie von außen angeflogen.' Wer würde da nicht an die Parallelen bei den christlichen Mystikern und im Zen-Buddhismus denken? Damit steht aber die Grundentscheidung, aus der heraus die Ethik gestaltet werden soll, außerhalb von Vernunft und Ethik. Und so kann Schopenhauer sagen: 'Ich glaube, so paradox es scheint, daß ein geläuterter Buddhaismus einst über Europa kommen kann.' Zumindest insoweit mag er nicht ganz Unrecht gehabt haben, wenn man sieht, wie angeblich aufgeklärte Mitteleuropäer zum Dalai Lama in Massen strömen

(9) Wie Nietzsche das in seiner 'Genealogie der Moral' unter Abkehr von seinem ehemaligen Lehrmeister Schopenhauer nennen wird.

(10) 'Sage ich: Das Nichts oder Nichtsein ist das Höchste, was ich mir denken kann, so muß ich auch hinzusetzen: Das Höchste, was ich mir wünschen, also das Beste, was ich mir denken kann, wenn anders dieses Höchste nicht im höchsten Grade sinnlos und abgeschmackt sein soll.' ((L. Feuerbach, 'Zur Moralphilosophie', a.a.O. S. 24)

(11) ' weil sie ihr wahres und letztes Wohl im Auge haben.'

(12) 'Aber sind denn diese Dinge die Dinge an sich? Ich weiß es nicht, aber für mich, der ich mich nicht von der Zeit abtrennen kann, sind diese zeitlichen Dinge auch Dinge an sich, ist die Zeit selbst, sogut wie die Sonne, Planeten und Kometen, die sich in Raum und Zeit bewegen, etwas Wirkliches und eben deswegen etwas an sich selbst, etwas ohne meinen Kopf und außer meinem Kopf. Ich dulde in meinem Kopfe keinen offenbaren Widerspruch, keine Konfusion, sie sei nun eine Kantische oder Hegelsche, ich weiß nichts von einer Idealität, d. h. Unwirklichkeit, die doch wieder Wirklichkeit sein soll, nichts also von einer wirklichen Unwirklichkeit, wie die konfuse Zeit der spekulativen Philosophie Deutschlands; ich kenne keinen andern Unterschied zwischen 'für mich' und 'an sich', zwischen subjektiv und objektiv, als den Unterschied zwischen Einbildung und Wirklichkeit, Täuschung und Wahrheit, Schein und Wesen. Aber beides: Wesen und Schein, fällt bei mir nicht jenseits, nein! diesseits von Zeit und Raum.' (L. Feuerbach, 'Zur Moralphilosophie', a.a.O. S. 36)

(13) Im übrigen wäre hier auch in Anschlag zu bringen, daß eine sog. 'Herzensbildung' und Humanität ohne Ausbildung der Vernunft durchaus beobachtbar sind, und zwar sowohl bei Naturvölkern wie auch in den (angeblich) 'ungebildeten' Schichten der Völker.

(14) Schopenhauer, Pareraga und Paralipomena II, 4.

(15) Die Ausgangsbedingungen des späten Feuerbach, der 1868 sein letztes (unvollendetes) Werk 'Zur Moralphilosophie' niederschrieb, aus dem etliche von Böröcz angeführte Zitate stammen, stellt W. Schuffenhauer in seiner 'Vorbemerkung' zu dieser Schrift folgendermaßen zusammen (L. Feuerbach, 'Zur Moralphilosophie', a.a.O. S. 3 f.):
Der Aufschwung der kapitalistischen Produktionsweise hatte auch Deutschland erfaßt. Die Fortschritte in den Naturwissenschaften, auf technischem Gebiet und im Weltverkehr, die vor allem in den Städten in Fluß geratenen sozialen Strukturen mit zunehmender Polarisierung sozialer Gegensätze, fanden zunehmendes öffentliches Interesse. Ebenso war die Zeit geprägt durch bedeutende politische Veränderungen: die Beendigung des nordamerikanischen Bürgerkriegs (1865), die Fortschritte der italienischen Einigungsbewegung und das Hervortreten des konservativ geführten Preußen im Konzert der europäischen Mächte (Krieg gegen Dänemark um Schleswig und Holstein 1864) wie im Ringen um die Vormachtstellung im Prozeß der nationalstaatlichen Formierung (Preußisch-österreichischer Krieg 1866 und Gründung des Norddeutschen Bundes als Wegbereiter des Deutschen Reiches 'von oben' und unter Ausschluß Österreichs, preußische innerdeutsche Annexionen und die beginnenden Rechtsangleichungen, 'Staatsveränderungen', wie Feuerbach sie bezeichnete). Die Dynamik der gesellschaftlichen Wandlungen widerspiegelte sich im Aufleben sehr gegensätzlicher Denkweisen. Besonderen Aufschwung erlebten einerseits empiristische und positivistische, anderseits, mit der aufkommenden selbständigen Arbeiterbewegung, sozialkritische und sozialreformerische Lehren, aber zunehmend auch die Philosophie A. Schopenhauers [Hervorhebung durch Verf.], die gepaart mit blendend vorgetragener rigoroser Kritik in ihren voluntaristischen und pessimistischen Zügen Verzweiflung an einer aus den Fugen geratenen Welt artikulierte und Konservatismus, einen quietistischen Humanismus und Weltflucht propagierte. In Politicis dominierte die Gegensätzlichkeit von groß- und kleindeutschen Richtungen, ihrerseits wieder in sich differenziert in demokratische, nationalliberale und – mehrheitlich obsiegend – konservativ-nationalistische Flügel. Feuerbach vertrat entschieden eine demokratische Einigung unter Einschluß Österreichs, verhielt sich aber als Realist zu den unabwendbaren geschichtlichen Wandlungen, so sehr er auch einem Machtzuwachs Preußens und insbesondere der Bismarckschen Annexionspolitik, die nur 'die Hybris und Ate seiner Dynasten und Junker vergrößern' konnte, kritisch gegenüberstand: 'Die Einheit kann nur das Object des Strebens der Völker und Menschen sein Aber sich durch preußische fürstliche Minister die Einheit schaffen wollen, heißt durch die Gegner der Freiheit die Freiheit schaffen wollen.' Er kritisierte den 'Widerspruch der innern und äußern Politik Preußens, physische Eroberungen zu machen, ohne sie durch moralische Eroberungen zu beseelen und zu rechtfertigen ' –
Seiner Empörung über die herrschenden Verhältnisse gibt Feuerbach hellsichtig – und bis heute gültig – beredten Ausdruck: 'Was wird aber erst die Zukunft entschleiern? Welche Masken werden da fallen! Und wieviele! denn was alles ist bei uns nicht bloße Maske? Besteht doch die Politik des Staats und besonders der Kirche einzig darin, ihre grenzenlose Leerheit, ihre bodenlose Gehaltlosigkeit, ihre empörenden Widersprüche mit dem Wohl und Wesen des Menschen zu verdecken, zu maskieren!' (L. Feuerbach, 'Zur Moralphilosophie', a.a.O. S. 28 f.)

(16) Schlagend läßt sich dies etwa an seinem Exkurs über die (angebliche Un-)'Reinlichkeit' bei verschiedenen Naturvölkern zeigen: er entdeckt hinter Verhaltensweisen, die seinen eigenen Anschauungen von 'Reinlichkeit' widersprechen (z. B. fehlende Körperwäsche, Läuse-Essen, Schweiß-Auflecken, Waschen mit Urin) nicht deren tieferen, aus bestimmten Lebensumständen herrührenden Grund und Sinn, sondern hält diese 'Unreinlichkeit' für angeborene Faulheit, für ein 'auf ganze Völker und Stämme sich erstreckendes Laster'. (L. Feuerbach, 'Zur Moralphilosophie', a.a.O. S. 42 ff.) Ebenso wie hinter dieser angeblich objektiven, in Wirklichkeit nur subjektiv angenommenen 'Reinlichkeit' stehen hinter den Begriffen 'Herz', 'Gemüt', 'Empfindung', 'Sinnlichkeit' im Feuerbachschen Sprachgebrauch keine real faßbaren, dinglich auf die Erfahrung reduzierbaren Tatsachen, sondern subjektive Interpretationen, die den Verdacht einer 'materialistischen Metaphysik' erregen, mit der die metaphysischen Erwartungen zwar der Vernunft entzogen, aber nur, um ähnlich wie bei Nietzsche 'in den Leib und dessen Verstand' verlegt werden.

'Es ist eine grundverderbliche, gemeinschädliche Vorstellung, daß die Moral nur vom Willen abhänge. Es ist dies nichts als der alte, nur ins Gebiet des Moralischen, in den menschlichen Willen versetzte Mirakelglaube. So gut die Glückseligkeit nicht allein von mir abhängt, obgleich sie nicht ohne meine Mitwirkung und Selbsttätigkeit mir zuteil wird, so gut hängt auch die Moralität nicht allein von meiner willkürlichen Tätigkeit, sondern auch von äußern Gütern, von der Natur, vom Körper ab. Es gibt keine Glückseligkeit ohne Tugend, ihr habt Recht, ihr Moralisten, ich stimme euch von Herzen bei, ich habe es ja schon eben euch zugegeben; aber merkt es euch, es gibt auch keine Tugend ohne Glückseligkeit – und damit fällt die Moral ins Gebiet der Privatökonomie und Nationalökonomie. Wo nicht die Bedingungen zur Glückseligkeit gegeben sind, da fehlen auch die Bedingungen der Tugend. Die Tugend bedarf ebensogut als der Körper Nahrung, Kleidung, Licht, Luft, Raum.' (L. Feuerbach, 'Zur Moralphilosophie', a.a.O. S. 50 f.) Und so erwähnt Feuerbach an dieser Stelle ausdrücklich Karl Marx und dessen 'Kapital': 'Wo die Menschen so aufeinander gepreßt sind, wie z. B. in den englischen Fabriken und Arbeiterwohnungen, wenn man anders Schweineställe Wohnungen nennen kann, wo ihnen selbst nicht der Sauerstoff der Luft in zureichender Menge zugeteilt wird – man vergleiche hierüber die wenigstens an unbestreitbaren Tatsachen interessantester, aber auch schauerlichster Art reiche Schrift von K. Marx: 'Das Kapital' – da ist auch der Moral aller Spielraum genommen, da ist die Tugend höchstens nur ein Monopol der Herren Fabrikbesitzer, der Kapitalisten. Wo das zum Leben Notwendige fehlt, da fehlt auch die sittliche Notwendigkeit. Die Grundlage des Lebens ist auch die Grundlage der Moral.'



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