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DIE WAHRNEHMUNG DER GROSSTADT IN DER MODERNE UND DIE MOGLICHKEIT DER BESCHREIBUNG

Geographie



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DIE WAHRNEHMUNG DER GROSSTADT IN DER MODERNE UND DIE MOGLICHKEIT DER BESCHREIBUNG



1.Theoretische Anmerkungen uber die Grosstadt in der Moderne

2.Die “gesehene” Stadt

3. Die “gehorte” Stadt

4. Die Moglichkeit der Beschreibung. Die Sprache

1. Theoretische Anmerkungen uber die Grosstadt in der Moderne

Obwohl die Grosstadt als einleuchtender, unvermeidlicher Eroberer der Moderne bezeichnet worden ist und ihr Weg sich schon als irreversibel, sich fur die Menschen als Konstitutiv zeigt, muss man auch die Tatsache berucksichtigen, dass zu diesem Wendepunkt der Zivilisation die Grosstadt noch in keiner endgultigen, finiten Form existiert. Obwohl sie schon existiert, entsteht sie zugleich. Sie ist eher noch in ihrer Entwicklung, in ihrem Werden begriffen. Sie wirkt zunachst als schockierende Erscheinung, die sich zum grossten Teil unerwartet und unerklarlich in dem bisherigen, gemutlichen Leben der Menschen durchsetzt. Die Grosstadt wirkt also ausserst agressiv auf diese mit der Weltordnung und deren Sinn vertraute Psychologie, so agressiv und diskretionar (wie sich so viele Autoren der Moderne klagen), dass einem keine Zeit mehr zum Distanzieren, Analysieren, eventuell Verstehen bleibt.

Was die Grosstadtreflexion in der Moderne betrifft, markiert Georg Simmels These (in seinem Aufsatz - 'Die Gross-Stadte und das Geistesleben', 1903) einen Umschlagpunkt in mehrfacher Hinsicht.

Simmel bezeichnet die Grosstadt als Ort der Moderne oder, wie Lothar Muller(13) sagen wurdel, ist jede Mythologie Topographie, und 'wenn es eine Mythologie der Moderne gibt, so ist der Ort, von

dem sie erzahlt und an den sie gebunden ist, die Grosstadt'.

Fur Simmel quellen die tiefsten Probleme des modernen Lebens aus dem Anspruch des Individuums, die Selbstandigkeit und Eigenart seines Daseins

gegen die Ubermachte der Gesellschaft, des geschichtlich Ererbten, der ausserlichen Kultur und Technik des Lebens zu bewahren - Die Umgestaltung des Kampfes mit der Natur, den der primitive Mensch um seine leibliche Existenz zu fuhren hat(14).

Die psychologische Grundlage, auf der der Typus grosstadtischer Individualitat sich erhebt, ist die Steigerung des Nervenlebens, die aus dem raschen und ununterbrochenen Wechsel ausserer und innerer Eindrucke hervorgeht. Der Mensch ist, so Simmel, ein Unterschiedswesen, d.h. sein Bewusstseun wird durch den Unterschied des augenblicklichen Eindrucks gegen den vorhergehenden angeregt; beharrende Eindrucke , Geringfugigkeit ihrer Differenzen, gewohnte Regelmassigkeit ihres Ablaufs ind uhrer Gegensatze verbrauchen sozusagen weniger Bewusstsein als die Rasche Zusammendrangung wechselnder Bilder, der schroffe Abstand innerhalb dessen, was man mit einem Blick umfasst, die Unerwartheit sich aufdrangender Impressionen.

Indem die Grosstadt gerade diese psychologische Bedingungen schafft - mit jedem Gang uber die Strasse, mit dem Tempo und den Mannigfaltigkeiten des wirtschaftlichen, beruflichen, gesellschaftlichen Lebens - ,stiftet sie schon in den sinnlichen Fundamenten des Seelenlebens einen tiefen Gegensatz gegen die Kleinstadt und das Landleben, mit dem langsameren, gewohnteren,

gleichmassiger fliessenden Rhythmus ihressinnlich-geistigen Lebensbildes.

Es gibt in Simmels Vorstellung der Moderne kein 'Jenseits' der Grosstadt, keinen Ort, der ihr als das ganz Andere gegenuberzustellen ware. Die Moderne insgesamt ist Grosstadt, auch dort, wo sie Land ist(15).

So wie Simmel weiter spricht, pflegen die Beziehungen und Angelegenheiten

des typischen Grosstadters so mannigfaltige und komplizierte zu sein, vor allem: durch die Anhaufung so vieler Menschen mit so differenzierten Interessen greifen ihre Beziehungen und Betatigungen zu einem so vielgliedrigen Organismus ineinander, dass ohne die genaueste Punktlichkeit in Versprechungen und Leistungen das Ganze zu einem unentwirrbarenChaos zusammenbrechen wurde.

Diese Exaktheit und minutenhafte Prazision der Lebensform fuhren zu einem Gebilde von hochster Unpersonlichkeit des Individuums, und weiter, zur Blasiertheit, die zunachst die folge jener rasch wechselnden und in ihren Gegensatzen eng zusammengedrangter Nervenreize.

Das Wesen der Blasiertheitist nach Simmel die abstumpfung gegen die Unterschiede der Dinge, nicht in dem Sinne, dass sie nicht wahrgenommen weurden,wie von dem Stumpfsinnigen, sondern so, dass die Bedeutung und der Wert der Unterschiede der Dinge und damit der Dingeselbst als nichtig empfunden wird. Sie erscheinen dem Blasierten in einer gleichmassigmatten und grauen Tonung,keines wert, dem anderen vorgezogen zu werden. Und anschliessend ist diese Seelenstimmung fur Simmel der getreue subjektive Reflex der vollig durchgedrungenen Geldwirtschaft.

Im Uberblick kennzeichnet sich das grosstadtische Leben fur Simmel durch Farblosigkeit und Indifferenz. Verantwortlich dafur ist das Geld, das sich zum Generalnenner aller Werte aufwirft, das den Kern der Dinge, ihre Eigenart, ihren spezifischen Wert, ihre Ungleichbarkeit rettungslos aushohlt. Das Geld wird der 'furchterliche Nivellierer' des modernen Lebens.

Die Beziehungen zwischen Menschen werden durch Reserviertheit, Gleichgultigkeit, Aversion, Fremdheit, Abstossung gekennzeichnet, was aber

auch zur Freiheit des Individuums fuhren kann.

Indem die Barschheit des Impaktes zwiscen dem Ich und der Grosstadt so stark ist und so schockierend wirkt, berechtigt sie freilich die verschiedensten Reaktionen, von den totalen Ablehnungen des Expressionismus oder der konservativeren Kunstler bis zu der grenzenlosen Begeisterung des Avantgardismus, zum Beispiel.

Die Expressionisten haben das Phanomen der Grosstadt ('die Damonen der Stadte', so Georg Heym) endgultig negativabgeschatzt und immer wieder dafur Fluchtalternativen Vorgaschlagen. 'Und im Rahmen dieser Totalrevolte gegen alles Anorganische, Burokratische, Durchrationalisierte, Zivilisatorische, das Lust-Unterdruckende, ja das Kehle-Abscnurende habe der Expressionismus, wie es immer und immer wieder heisst, auch das Phanomen der Stadt, vor allem der Grosstadt, als Ausgeburt eines geradezu teuflischen Ungeistes nicht nur kritisiert, sondern mit erbittertem Hass als eine der schlimmsten, menschenfresserischen Manifestationen jener Moderne angeprangert, der man sich nur durch einen Ruckzug in die utopischen Gefilde des Seeligen, zu Natur und Dschungel, zu Bauerntum und Scholle, zu einem adamitischen Paradies, dass heisst einem Reich des Elysischen, Pastoralisierten, Exotischen, Atavischen, Nackten, Wilden entziehen konne'(16).Das ist aber die Einstellung der fruhexpressionistischen Untergangsgedichte, denn spater traten daneben eine Fulle enthusiastischer Lobgesange auf die grosse Stadt. So widmet Marie Holzer 1912, zum Beispiel, einen Artikel 'dem Automobil'. Das Grauen mischt sich mit der Faszination ein:

'Das Automobil ist der Anarchist unter den Gefahrten. Es rast, Schrecken verbreitend, durch die Welt, losgelostvon altershergebrachten Gesetzen. Kein Schienenstrang schreibt ihm die Wege vor; keine Pferdelunge zwingt ihn zu einem vorgeschriebenen Tempo, das sich selber enggezogene Grenzen hat. Es ist der Herr der unbegrenzten Moglichkeiten usw.'(17).

Die Einstellung der Futuristen ist aber vom Anfang an ganz offen dem Phanomen der Grosstadt entgegengekommen. Marinetti bemerkt schon 1913, dass es um eine 'vollstandige Erneuerung der menschlichen Sensibilitat' geht, die 'eine Folge der grossen wissenschaftlichen Endeckungen ist', und zwar der neuen Kommunikationsmittel, die die Immensitat in der Simultaneitat ermoglichen. Er sagt: 'Wer heute den Fernschreiber, das Telephon, das Grammophon, den Zug, das Fahrrad, das Motorrad, das Auto, den Uberseedampfer, den Zeppelin, das Flugzeug, das Kino, die grosse Tageszeitung (Synthese eines Tages der Welt) benutzt, denkt nicht daran, dass diese verschiedenen Arten der Kommunikation, des Transportes und der Information auf seine Psyche eine entscheidenden Einfluss ausuben'(18).

Der Wortfuhrer des italienischen Futurismus erklart ebenfalls die 'Verspottung der himmlischen Ruhe im Grunen und der unantastbaren Landschaft', seine 'Liebe zum Neuen, zum Unvorhergesehenen' und die 'Begeisterung fur die Stadt'(19).

2. Die 'gesehene' Stadt

Die Grosstadt konfrontiert das wahrnehmende Subjekt mit Problemen, die eben die Art und Weise der Wahrnehmung in Frage stellen. Alles geschieht geschwindig.

Der spatere Bauhausmeister Laszlo Moholy-Nagy macht auf die optischen Wirkungen der Geschwindigkeit aufmerksam, die durch die neuen Verkehrsmittel verursacht werden: 'Motion, accelerated to high speed, changes the appearance of the objects and makes it impossible to grasp their details. There ist clearly recognizable differnce between the visual experience of a pedestrian and a driver in viewing objects. The motor car driver or airplaine pilot can bring distant and unrelated landmarks into spatial relationsships unknown ti the pedestrian. The difference is produced by the changed perception caused by the various speeds, vison in motion'(20). Mit den schnell sich verandernden optischen Sensationen entzieht die Grosstadt dem Blick die Moglichkeit, sich an den Gegenstanden festzumachen und zerstreut ihn in diskontinuierliche visuelle Eindrucke, von der ihn umgebenden Realitat.

Das Auge ist das Wahrnehmungsorgan,das im Rahmen der neuen Sensibilitat einen neuen Vorrang gewinnt bei der Bewaltigung der vielfaltigen und schnell erfolgenden Eindrucke(21).Fernand Leger hat diesen Sachverhalt beschrieben: 'Die optischen Aspekte einer modernen Grosstadt sind schlecht orchestriert oder vielmehr ein Chaos. Die larmende Immensitat der Strasse radert die Nerven und macht uns verruckt'(22). Leger erkennt ebenfalls dem Auge diese

Vorrangstellung zu, indem er bemerkt, 'mehr denn je lehnt das Auge als verantwortungsreichstes Cheforgan den ganzen Menschen. Vonfruh bis spat registriert es ununterbrochen die vielfaltigen Eindrucke und hat dabei immer flink, verlasslich, subtil und exakt zu sein'(23).

Literarische Texte vom Anfang des 20.Jahrhundert zeigen die Uberforderung der Wahrnehmung im grosstadtischen Leben. Exemplarisch dafur sind die Eintragungen Maltes in sein Tagebuch in Rilkes Roman “Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge”.Den Schock des Sehens bekundet MAlte mit der wiederholten Ausserung 'ich lerne sehen', und fugt, als er noch am Beginn dieses Unternehmens steht, hinzu: 'ja, ich fange an. es geht noch schlecht'. So wie Smuda bemerkt, wird Malte bewusst, dass er sich zu verandern beginnt, obwohl er erst kurze Zeit in Paris ist, und diese Veranderung wird erkennbar als Gwohnung und Anpassung an die Wahnehmungsgegebenheiten der Metropole(24).

Das Sehen wird fur Malte zum Schrecken. Er isoliert das Sehen von Gesichtern in der Masse, was eine alptraumartige und groteske Wirkung hat, die die Wirklichkeit - die Strassen, die Masse - zum Entsetzlichen uberhoht:

'Ich lerne sehen (). Dass es mir zum Beispiel niemals zu Bewusstsein gekommen ist, wieviel Gesichter es gibt (). Da sind Leute, die tragen ein Gesicht jahrelang, naturlich nutzt es sich ab, es wird schmutzig, es bricht in den Falten es weitet sich aus wieHandschuhe, die man auf der Reise getragen hat (). Aber die Frau, die Frau: sie war ganz in sich hineingefallen, vornuber in ihre Hande (). Sie erschrak und hob sich aus sich ab, zu schnell, zu heftig, so dass das Gesicht in den zwei Handen blieb. Ich konnte es darin

liegen sehen, seine hohle Form. Es kostete mich unbeschreiblich

Anstrengung, bei diesen Handen zu bleiben und nicht zu schauen, was sich aus ihnen abgerissen hatte. Mir graute, ein Gesicht von innen zu sehen, aber ich furchtete mich doch noch viel mehr vor dem blossen wunden Kopf ohne Gesicht'(25).

Rolf Grimmiger sagt, Rilke beschreibt eine alltagliche Erfahrung, die sich rekonstruieren lasst. Das Gesicht lost sich von ihm, einer Maske gleich, die man aufsetzen und wieder ablegen kann. Vermummung und Maske scheinen aber normal zu sein: 'Malte Laurids Brigge geht durch die Stadt, ein Passant unter vielen, der, wahrend er von der Menge umspult wird, auf Gesichter blickt.Keine Privaterfahrung lasst sich in dieser maskierten Offentlichkeit auf sich ubertragen, sie wirken entleert. Anonyme Gesichtsflacher ziehen vorbei, unidentifizierbar, fremd, und als er am Ende diese Frau trifft, erinnert er sich an ein bekanntes Bonmot: Wenn man den Leuten die Maske abreisst, geht das Gesicht wahrscheinlich gleich mit. So neschreibt er den Kopf dieser Frau als eine ungeschutzte, von keiner Maske mehr verdeckte Wunde, einen gesichtslosen Stumpf oben auf dem Korper'(26).

Sehen zu lernen im Sinne Maltes bedeutet also, eine dem Grosstadtleben adaquate, fur seine Gegebenheiten spezifische Wahrnehmungsweise auszubilden. Nur so ist die Grosstadt in ihre schockierenden Eigenart zu erfahren. 'Da der Prozess des Sehenlernens, der eine solche Erfahrung ermoglicht, durch die Notwendigkeit, sich mit einer Fulle unvorhersehbaren Eindrucke auseinanderzusetzen, standig am Rande der Wahrnehmungsuberforderung entlanglauft, ist die Mitteilung von Erfahrung in

Rilkes Roman als Problem dargestellt. Es kann sich immer nur um Versuche handeln, die das Subjekt unternimmt, um der komplexen Wahrnehmungssituation der Grosstadt mit ihren diskontinuierlichen Eindrucken einen Zusammenhang abzugewinnen. Die Tagebuchform des Romans weist auf diesen VErsuchscharakter hin, und Malte notiert eher momentane Einsichten in isolierte Einzeleindrucke, die Erfahrungsfragmente bleiben'(27).

Die 'gehorte' Stadt.

Wir wollen weiter den Aufstand der Gerausche in der modernen Grosstadt wieder mit Rilkes 'Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge' exemplifizieren. Neben dem sehen wird auch das Horen stark bruskiert:

'Dass ich es nicht lassen kann, bei offenem Fenster zu schlafen. Elektrische Bahnen rasen lautend durch meine Stube. Automobile gehen uber mich hin. Eine Tur fallt zu. Irgendwo klirrt eine Scheibe herunter, ich hore ihre grossen Scherben lachen, die kleinen Splitter kichern. Dann plotzlich dumpfer eingeschlossener Larm von der anderen Seite, innen im Hause. Jemand steigt die Treppe. Kommt, kommt unaufhorlich. Ist da,ist lange da, geht vorbei. Und wieder die Strasse. Ein Madchen kreischt: Ah tais-toi, je ne veux plus. Die Elektrische rennt ganz erregt heran, daruber fort, fort uber alles. Jemand ruft. Leute laufen, uberholen sich. Ein Hund bellt. Was fur eine Erleichterung: ein Hund. Gegen Morgen kraht sogar ein Hahn, und das ist Wohltun ohne Grenzen. Dann schlafe ich plotzlich ein'(28).

Die Gegenwart der Stadt drangt sich penetrant dem Schlafsuchenden mit ihren vielfaltigen Gerauschen auf, wie der Anlyst Smuda bemerkt. Wie die visuellen Eindrucke in der grosstadtischen Umgebung den Blick zerstreuen, weil sie ihm diskontinuierlich erscheinen, so lassen sich auch die Eindrucke des Horens fur Maltenicht kontinuierlich aufeinander beziehen. Und anders als die Gerausche des Verkehrs und die im Haus, die undifferenziert auf Malte eindringen, gewinnen die naturlichen Gerausche wie das Bellen eines Hundes oder das Krahen eines Hahns fur ihn die Gefuhlsqualitat der

'Erleichterung' und des 'Wohltuns ohne Grenzen'(29).

Die Satze dieser Beschreibung sind kurz, was die Wirkung einer dissonanten Sprache gibt, die eigentlich den Dingen entspricht, uber die sie redet. Das Wrt selbst wird leicht entwertet, indem es zu einem Gerausch unter anderen wird. Malte unterscheidet nicht mehr genau menschliche Stimme vom Klirren der Fensterscheiben oder dem Rattern der Strassenbahnen.

Rolf Grimmiger berichtet uber einen Zeitgenossen Rilkes, den italienischen Avantgarde-Musiker Luigi Russolo, der um die gleiche Zeit eine radikalere Kosequenz zog: Er erfand die Gerauschmusik. Ein paar Jahre spater werden die Zuricher Dadaisten ihre bruitistischen Gedichte vortragen, Gedichte aus vermischte Gerauschen und menschlichen Stimmen. Sie verweisen auf 'den Widerstreitder vox humana mit einer sie bedrohenden, verstrickenden und zerstorenden Welt, deren Takt und Gerauschablauf unentrinnbar sind', schrieb Hugo Ball(30).

4.Die Moglichkeit der Beschreibung. Die Sprache.

Es steht sich freilich die Frage, wie die moderne Grosstadt, ihre Modernitat und Komplexitat dargestellt werden konnen. Eine traditionelle Beschreibung wie diejenige Zolas, beispielsweise, konnte dazu nicht mehr geeignet sein. Ein Subjekt mit zerstreuter Wahrnehmung druckt sich sonderbar aus. Die Grosstadt (und ihre Darstellung) lehnt jede logische Verbindung ab, sinnvoll darf nichts mehr ausser der Sinnlosigkeit selbst bleiben. Eine Beschreibung von Zola, was die Technik betrifft, gleicht uberhaupt nicht einer Beschreibung von Doblin, zum Beispiel.

Uwe Johnson sagt die Schwierigkeiten der Beschreibung aus , wenn es um die Stadt geht: 'Erlauben Sie mir unter diesem Titel zu berichten uber einige Schwierigkeiten, die mich hinderten einen Stadtbahnhof in Berlin zu beschreiben. Da tritt unter vielen anderen eine einzelne Person aus dem eingefahrenen Zug, uberschreitet den Bahnsteig und verlasst ihn zur Strasse hin. Dieser Vorrang bleibt sich ahnlich, so oft er vorkommt Erfugt sich weder in einer langen noch in vier Kurze Satze vom erwunschten Umfang, also wurde er ausgewechselt gegen einen anderen Anlass, der dieselbe Wirkung tat. Nach einiger Zeit war es aber argerlich, dass diese einfache Bahnhofszene nicht fur den Namen Berlin hatte stehen wollen, und ich versuchte mit ihr allein eine Geschichte: eine Beschreibung fur sie allein. Damit gab es Schwierigkeiten'(31).

Marinetti gleicht die Grosstadt einer extremen Lebenserfahrung, wie einem Krieg oder Erdbeben, einer 'Zone intensiven Lebens' also, die sie nicht wie gewohnlich vermitteln lasst. Er sieht das Problem folgenderweise:

'Stellt euch vor, ein Freund von euch, der uber diese lyrische Fahigkeit

[gemeint ist die der befreiten Worte] verfugt, befindet sich in einer Zone intensiven Lebens (Revolution, Krieg, Schiffbruch, Erdbeben usw.) und kommt gleich darauf, um euch seine Eindrucke zu erzahlen. Wisst ihr, was euer lyrischer und erregter Freundintuitiv machen wird Er wird zunachst beim Sprechen die Syntax zerstoren.Er wird keine Satz mit dem Bau von Satzen verlieren. Er wwird auf Interpunktion und das Setzen von Adjektiven pfeifen. Erwird nicht darauf achten, seine Rede auszufeilen und zu nuancieren, sondern er wird ganz ausser Atem in Eile seine Seh-, Gehor- und Geruchsempfindungen in eure Nerven werfen, so wie sie sich ihm aufdrangen. Das Ungestum seiner Dampf-Emotion wird das Rohr des satzes zersprengen, die Ventile der Zeichensetzung und die Regulierbolzen der Adjektive. Viele Handvoll von essentiellen Worten ohne irgendeine konventionell Ordnung. Einzige Sorge des Erzahlers: Alle Vibrationen seines Ichs wiederzugeben'(32).

Man muss sich also so wie die Stadt ausdrucken: schnell, geschwindig: 'Gewohnung an die verkurzten Ansichten und optischen Synthesen, die von der Gescwindigkeit der Zuge und Autos erzeugt werden, Liebe zur Geschwindigkeit, zur Abkurzung und Resumee.Erzahl mir schnell alles, in zwei Worten'(33).

Das kann aber nicht sein, wenn man die traditionelle, fliessende, logische Art der Erzahlung benutzt. Marinetti erklart durch eine ironische Simplifizierung die Unterschiede zwischen der alten und der neuen Art des Schreibens: 'Les hommes ont jusqu'ici plus ou moins chante tous commes Homere avec une succesion narrative et un catalogue logique d'idees, faits, sentiments, sensations, images. C'est pourquoi on peut affirmer qu'il n'existe aucune

difference reelle entre les vers d'Homere et ceux de Gabriele D'Annunzioou de Verhaaren. Les motslibristes se distinguent finalement d'Homere avec nettete parce qu'ils ne se contene plus de donner la succesion narrative, mais ils donnent l'expresion integrale, dynamique et simultanee de l'univers'(34).

Die schon erwahnte Einstellung zur 'himmlischen Ruhe im Grunen', wie auch zur 'unantastbaren Landschaft' entsprechen der traditionellen Art der Literatur, einer verbrauchten Tradition, einem passatismo, die uberwunden werden mussen. Im Gegenteil dazu schlagt Marinetti die Technik der 'befreiten Worte'(parole in liberta) vor, die als antinarrativ begriffen werden.

Diese Antinarrativitat meint auch Rilke, wenn er sagt: 'Dass man erzahlte, wirklich erzahlte, dass muss vor meinen Zeit gewesen sein. Ich habe nie jemanden erzahlen horen'(35).

Die Grosstadt lasst sich sonderbar beschreiben. Es geht nicht nur um die klassische Methode der Beschreibung. Teilweise schon, aber sie braucht unbedingt mit der von Marinetti gemeinten 'lyrischen Fahigkeit' der 'befreiten Worte'. Die Grosstadt fordert fur sie eine unbedingt polyphone, dissonante, resonante, vielstimmige Ausdrucksweise.

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