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Thematisiertes Erzählen – ein „blinder Fleck“ der Narratologie

Literatur



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DOCUMENTE SIMILARE

Thematisiertes Erzählen – ein „blinder Fleck“ der Narratologie

1. Vorbemerkungen



Das für die vorliegende Dissertation ursprüngliche Augenmerk auf den strukturellen Eigenschaften und deren semantische Implikationen im Prosawerk Johannes Bobrowskis hat sich im Laufe der Arbeit konkretisiert zu einem spezifischeren Schwerpunkt. Dieser Schwerpunkt ließe sich bezeichnen als Untersuchung der erzählerischen Selbstreflexivität, vor allem in der Form von Metanarrativität und Metafiktionalität, deren Funktionen in der Prosa Johannes Bobrowskis in der Dissertation ermittelt werden sollen. In diesem theoretischen Teil sollen einige Begriffe und Konzepte für die in den Texten Bobrowskis auftretenden Formen der Selbstreflexivität gewonnen werden.

Erzähltheorie, wie jede andere Art von Theorie, erstellt hochabstrakte Modelle ihrer Gegenstände oder des Gegenstandsbereichs. Diese Modelle beruhen hauptsächlich auf sich wiederholenden Eigenschaften, die einer dadurch abgrenzbaren, differenzierbaren Gruppe von Gegenständen zugeschrieben werden können. Diese Modelle lassen gewisse Variablen zu, setzen aber gleichzeitig einen beständigen „Kern“ voraus, der die einzelnen Objekte als Angehörige einer Gruppe kennzeichnet. So werden aus den Einzelfällen Kategorien, Ebenen, Paradigmen gewonnen. Dieses Prinzip liegt sowohl den Gattungsbezeichnungen zugrunde als auch z.B. den Untersuchungen Vladimir Propps und seinen bis in die heutige Narratologie über den Strukturalismus wirkenden Ideen.[1] Dieses abstrakte Modell wird dann auf alle einzelnen Gegenstände der Gruppe bezogen.

Die Funktion solcher Modelle ist in erster Linie die einer Gruppierung (im Falle der Literaturwissenschaft etwa die Gruppierung in Gattungen). Diese Modelle liefern uns zudem ein „Begriffsinventar“ für die Beschreibung und Deutung literarischer Texte. Sie schärfen einerseits sehr stark den Blick für bestimmte Erscheinungen, geben aber gleichzeitig auch einen „Rahmen“ vor, der andere, von der Theorie nicht erfasste Erscheinungen zwangsläufig ausblendet. Das Modellangebot in der heutigen Erzählforschung birgt, trotz dessen beachtlichen Umfangs, in sich einen recht stabilen Kern, der das überaus beständige langjährige Debatten überdauerndes Ergebnis theoretischer Diskussionen ist. Man könnte diesen Kern einen Konsens nennen, ein grundsätzliches Übereinkommen zwischen den verschiedenen Modellen, ein Kreuzpunkt, an dem diese sich überlappen. Dieser theoretische Kern – die scharfe horizontale Teilung des Prosatextes in die Ebene der Erzählvermittlung (Diskursebene) und die Handlungsebene (diegetische Ebene) – ist auch eine der fundamentalen Vorstellungen der Narratologie, die diese im Wesentlichen vom Strukturalismus geerbt hat: Das „Wie“ und das „Was“ einer Erzählung, wie Martínez und Scheffel es in ihrer weitverbreiteten Einführung in die Erzählforschung bezeichnen. Dieses in den 50er Jahren eingeführte grundsätzliche Modell ist so weitreichend und omnipräsent, dass wir es unwillkürlich bei unserer Lektüre von Texten anwenden, ohne uns dessen immer bewusst zu sein.

Problematik eines hierarchischen Modells der Vermittlungs- und Handlungsebene

Die primäre, einer jeden Untersuchung voranliegende Sonderung der Vermittlungs- von der Handlungsebene sieht einiges nicht vor – z.B. dass Handlung (mitsamt einem Konflikt und seiner Entwicklung) auch auf der Ebene des Erzählens möglich ist, nicht nur auf der Darstellungs- oder Handlungsebene. Dabei kann es sich durchaus nur um eine eigentümliche Nebenhandlung handeln, sondern um die Haupthandlung. Auch könnte das “Wie“ eines Textes selbst in diesem Text thematisiert werden – in diesem Fall fehlt es dem Modell an einer „höheren“ Ebene, die über der Erzählebene selbst steht. Damit ist nicht die paratextuelle Ebene gemeint, sondern eine dem Text selbst immanente und stets präsente Dimension, die man als ‚Selbstreflexivität des Erzählers‘ bezeichnen könnte.

Ein weiteres Problem dieses Modells besteht darin, dass es eine strikte Trennung - oder mindestens die strikte Trennbarkeit - von Erzähl- und Handlungsebene vorsieht. Wie verhält es sich aber mit Texten, bei denen ein extradiegetischer (ein in die Handlung der Erzählung nicht einbezogener) Erzähler mit seinen Figuren kommuniziert? Ein ähnliches Problem könnte entstehen, wenn Figuren- und Erzähleraussagen narrativ nicht markiert sind und nicht definitiv voneinander zu scheiden sind. Diese beiden Ebenen (deren Trennung für lange Zeit als konstitutives Merkmal eines erzählerischen Textes betrachtet wurde) treten dann ungeschieden auf.

Des Weiteren führt dieses Modell zu einer Aufwertung der Handlungsebene (Geschehensillusion) gegenüber der Erzählebene (Erzählillusion), einer Bevorzugung des „Was“ gegenüber dem „Wie“. Im Grunde hat man es mit einer ideologischen Hierarchisierung zu tun, die auf der Vorstellung beruht, dass die Handlungsebene als die „Pforte“ zur Bedeutungsebene zu denken sei. Dies kommt etwa bei W. Wolf deutlich zum Ausdruck, der die Geschehensillusion als die Primärillusion bezeichnet.[3] Dabei wird die offenbare Tatsache ausgeblendet, dass es einer Vermittlerinstanz bedarf (zumindest in der Schwundstufe einer Reflektorfigur ), um eine Geschehensillusion herzustellen. Diese „Bevorzugung“ der Handlung rührt sicherlich auch daher, dass diese in der übergroßen Mehrzahl jener Texte dominiert, in denen die Erzählebene ein wenig ausgeprägtes Eigenleben führt, in denen sich keine Erzählerreflexion findet und „Erzählerspuren“ kaum anzutreffen sind – was zu allen Zeiten für die übergroße Mehrheit aller erzählenden Texte zutreffen dürfte, die dann gewissermaßen als unmarkierter ‚Normalfall‘ erscheinen.

Die Verpflichtung zur Trennung dieser Ebenen, die der Mehrheit der narratologischen Modelle zugrunde liegt,[5] geht so weit, dass sich Linda Hutcheon in ihrer Untersuchung gezwungen sieht, anstelle des verwaschenen englischen Begriffs ´narrative´ (mit dem vor allem das Erzählen oder der Akt des Erzählens bezeichnet wird) den Begriff ´diegetic´ zu prägen, der in Anlehnung an Aristoteles sowohl die Mimesis als auch die Diegesis beinhaltet und ein Amalgam zwischen der Vermittlungsebene (oder dem ´Akt des Erzählens´) und der Handlungsebene darstellt:

If the novel is by definition a representational genre, the Aristotelian concept of mimesis is worth reinvestigating. For Aristotle, diegesis was part of mimesis. Cervantes too saw this, and neatly demonstrated that in the novel from the narrative act itself is, for the reader, part of the action.
For this reason the term ´diegetic´ might be preferable to the simpler and more familiar term “narrative,” as an adjective to signal this study´s rejection of the split between process (the storytelling) and the product (the story told).

Auch wenn Hutcheon bei der Definition und Füllung des Begriffes ´diegetic´ recht zurückhaltend ist, erscheint diese Entscheidung als sehr einleuchtend. Dies nicht zuletzt wegen der oben angeführten Probleme, bei denen es sich um Fälle handelt, die in den meisten einschlägigen Theorien und Modellen (die in ihrer überwältigenden Mehrheit gerade die strikte Trennung der Handlungs- und Erzählebene als ihren Ausgangspunkt postulieren) nicht vorgesehen werden.

Natürlich ist eine theoretische Trennung dieser Ebenen ein logischer Zug, der der Beschreibung und Analyse der meisten literarischen Texte sehr günstig ist. Zugleich aber muss man sich hüten, diese Struktur als statisch zu denken oder sie gar für eine Grundvoraussetzung aller erzählerischen Texte zu halten, was in den Textanalysen der vorliegenden Dissertation zu zeigen ist.

Selbstreflexivität und Metanarrativität als Gattungs-merkmale des Romans

Auch wenn die Forschung zu Johannes Bobrowskis Prosa im Vergleich zu bekannteren Autoren relativ überschaubar ist, ist die narrative Selbstreflexivität seiner Texte kaum thematisiert worden. Dabei ist dieses Merkmal im Falle einiger Erzählungen (Das Stück, Betrachtung eines Bildes, im Guckkasten: Galiani u. A.), der beiden Romane (Levins Mühle und Litauische Claviere) nicht allein konstitutiv, sondern auch vordergründig eingesetzt. Die Vernachlässigung der Vermittlungsebene in narratologischen Modellen ist vermutlich der Hauptgrund dafür, denn es handelt sich hier um ein Charakteristikum der Texte Bobrowskis, das vor allem das spätere Prosawerk immer deutlicher und bis zur Unübersehbarkeit kennzeichnet.

Vereinzelt und in einer viel partielleren Form spielt Selbstreflexivität in vielen literarischen Texten eine Rolle. Bei manchen ist die Selbstreflexivität oder, konkreter, Metanarrativität das den gesamten Text organisierende Prinzip. Dies ist keineswegs eine „moderne“ und schon gar nicht eine „postmoderne“ Erscheinung (obwohl die Literatur der Postmoderne sicherlich mit einer Tendenz zu einer erhöhten Selbstreflexivität in Verbindung gebracht werden kann). Schon seit seinen Anfängen ist der Roman eine Gattung, die nicht nur realistisch verfährt, sondern zugleich auch metanarrativ. Den Kritikerstimmen, die in den dezidiert metanarrativen und metafiktionalen Romanen der Moderne und Postmoderne den Tod dieser Gattung erkennen wollen, hält Linda Hutcheon überzeugende Argumente entgegen:

The self-reflective metafiction of today is not the product of a break or an eclipse in any novelistic tradition. It is rather a continuation of an already existing narcissistic trend in the novel as it began parodically in Don Quijote and was handed on, through eighteenth-century critical self-awareness to nineteenth-century self-mirroring.
Cervante´s parodic text is indeed not only the first “realistic” novel but also the first self-reflective one
If self-awareness is a sign of the genre´s disintegration, then the novel began its decline at birth

Auch Nünning verweist auf die Metanarration als „konstitutive[s] Element“ der Erzählkunst seit den Anfängen des Romans. Schon beim Anbruch des neuzeitlichen Romans, im Don Quijote, haben wir es ja mit einem Text zu tun, der mehrere Formen der Metanarrativität aufweist. Darunter auch durch seine ironische und parodisierende Bezugnahme auf die Ritterromane, wodurch der Text den eigenen Aufbau thematisiert. Sie kommen in dieser kurzen Passage in in mehrfacher Hinsicht zum Ausdruck:

Als Don Quijote das demütige Benehmen des Befehlshabers der Feste sah – denn dafür hielt er den Wirt und die Schenke - , antwortete er: „Für mich, Herr Kastellan, genügt jegliches, was es auch immer sei, denn
Meine Zierat sind die Waffen,
Und mein Ausruhn ist der Kampf,
und so weiter.“

Neben der ironisierten Diskrepanz zwischen der dargestellten Wirklichkeit und der Illusion, die Don Quijote von ihr hegt und die ihn dazu veranlasst auf das Bedauern des Wirtes, dass er dem Ritter kein Bett anbieten kann, in einem gehobenen Ritterpathos mit den zwei aufdringlich klischeehaften epischen Verszeilen zu antworten, ist der dritte Vers sehr auffällig. Dieser, obgleich noch als Zitat markiert, wird zugleich graphisch von den vorangehenden beiden Versen durch eine Leerzeile abgetrennt, steht auch nicht zentriert wie die anderen beiden. Da Don Quijote als Figur sein Ritterdasein sehr ernst nimmt, kann diese dritte Zeile nur dem Erzähler gehören, der mit dem das Ritterpathos abrupt unterbrechenden Einschub „und so weiter“ die Klischeehaftigkeit derartiger Verse oder dieses Codes[12] zum Ausdruck bringt. Damit verweist er explizit auf den Gestus des Zitierens, denn dem zeitgenössischen Leser, der auf den Code des Ritterromans gestimmt ist, ist das Muster, nach dem diese Verse endlos weitergetrieben werden könnten, sehr gut bekannt. Dieser Code wird nur aufgerufen, um dem Leser den Bruch mit der hier parodierten Erzähltradition mitsamt ihres Schematismus vor Augen zu führen. Wie wir wissen, ist eines der Hauptthemen des Romans ein bestimmtes literarisches Genre. An Stellen wie dieser verweist der Text auf die Machart und die Funktionsprinzipien von Texten, die er parodierend übernimmt, um sie vorzuführen.

Zum anderen wird auch der Akt des Erzählens selbst an vielen Stellen auf unterschiedliche Weise thematisiert, wofür wir ein treffendes Beispiel an dieser Stelle finden:

Beinahe diesen ganzen Tag zog er dahin, ohne daß ihm etwas begegnete, was zum Erzählen wäre, und darüber wollte er schier verzweifeln; denn gern hätte er gleich zur Stelle auf jemand treffen mögen, an dem er die Tapferkeit seines starken Armes erproben könnte.
Es gibt Schriftsteller, die da sagen, das erste Abenteuer, das ihm zustieß, sei das im Bergpaß Lápice gewesen; andere sagen, das mit den Windmühlen. Was ich jedoch über diesen Kasus ermitteln konnte […]

Das Verzweifeln an diesem ereignislosen Tag kann hier sowohl mit der Hauptfigur als auch mit dem Erzähler in Verbindung gebracht werden, der hier mit der Erwartung des Lesers spielt, denn dieser ist es gewöhnt, den Ritter von einem Abenteuer ins nächste stürzend zu erleben. Im zweiten Absatz dieser Passage gibt sich der Erzähler explizit als Schriftsteller aus und macht hier seine Version der Geschichte zum Thema.

Die Beschreibungsprobleme begrifflicher und theoretischer Natur für ganz ähnliche Phänomene in der Prosa Bobrowskis haben mich veranlasst, in der einschlägigen theoretischen Literatur nach Lösungen zu suchen. Es stellt sich heraus, dass dieses und ähnliche Probleme schon seit längerem in einem eher kleinen und relativ unbekannten Seitenzweig zum narratologischen Diskurs unter dem Stichwort ‚Metanarration‘ und/oder ‚Metafiktion‘ diskutiert werden. Die relativ marginale Stellung dieses Diskurses ist überraschend, wenn man sich die fundamentale Bedeutung dieses Problems in Bezug auf Literaturtheorie und –Wissenschaft vor Augen hält – immerhin ist die Rede von grundsätzlichen Funktionen der Erzählinstanz und der Vermittlungsebene insgesamt.

Bemerkungen zum Forschungsstand zur Metanarration

Die Vernachlässigung des Phänomens des inszenierten und im Erzählen selbst thematisierten Erzählens stellt Nünning einleitend in Mimesis des Erzählens fest:

Mißt man die Erzähltheorie an ihren eigenen Ansprüchen, so zeigt sich freilich, daß sie seit jeher keineswegs frei von normativen Tendenzen war; auch hat sie ihr Interesse nicht gleichmäßig auf die verschiedenen ´Bauformen des Erzählens´ bzw. Aspekte von Narrativität verteilt. […]
Besonders ekletant ist die Diskrepanz zwischen der Bedeutung des Phänomens auf der Objektebene und des nach wie vor unzureichenden Rasters von Analysekategorien auf der Ebene erzähltheoretischer Begriffs- und Modellbildung im Falle des Akts des Erzählens.

Die Gründe für diese langwierige Vernachlässigung des Gegenstands liegen in der Bevorzugung und Aufwertung der ´Geschehensillusion´ (vgl. dazu Werner Wolf ) gegenüber der ´Erzählillusion´ oder, um es mit traditionelleren Begriffen auszudrücken, der Darstellungsebene gegenüber der Vermittlungsebene, des Erzählten gegenüber dem Erzählen. Erstere wird bei Wolf nicht von ungefähr als ‚Primärillusion‘ bezeichnet, während die Erzählillusion als die ´Sekundärillusion´ gilt. Hinzu kommt der pragmatische Umstand, dass die erzählenden Texte, die diese Eigenschaften (Metanarrativität und/oder Metafiktionalität) nicht nur aufweisen, sondern in ihnen zentriert sind, aufs Ganze der erzählenden Literatur gesehen doch eher eine Minderheit darstellen.

Die auf die Darstellungsebene ausgerichtete besondere Vorliebe der Narratologie äußert sich neben der dafür bezeichnenden Begriffswahl auf theoretischer Ebene in Textanalysen und Untersuchungen zu einzelnen Autoren. Als bekanntestes Beispiel dafür mag der Diskurs der Erzählung von Gérard Genette stehen. Hier bildet die Forschung zu Bobrowskis Prosa also keine Ausnahme. Nünning führt die Privilegierung der Handlungsebene gegenüber der erzählerischen Vermittlung auf den Strukturalismus zurück und verweist darauf, dass sie auch „auf die jahrzehntelange normative Bevorzugung ´objektiver´ Erzählformen und auf die damit einhergehende Abwertung von Kommentaren expliziter Erzähler als illusionszerstörende ´intrusions´“ zurückgeführt werden könne.

Auch wenn Metanarration und –fiktion mit ihrer 40-jährigen Vorgeschichte im englischen Sprachraum (und einer immerhin fast 30-jährigen im deutschen) keineswegs als neuer Gegenstand der Forschung bezeichnet werden können, herrschen in diesem eigentümlichen Diskurs bis heute begriffliche Probleme. Dies gilt für beide Traditionen, die mit sehr unterschiedlichen Begriffen hantieren. So ist Metafiktion in der englischen Tradition eine Art Sammelbegriff für viele Formen der Metanarration, aber auch für solche, die in der deutschen Tradition als metanarrativ, aber nicht als metafiktional verstanden werden (wie z.B. Formen narrativer Selbstreflexivität, die keinen Illusionsbruch verursachen).

Den ersten eingehenden und systematisch angelegten Versuch einer Positions- und Begriffsbestimmung der Metanarration (die um einiges weiter gefasst ist als der ältere und von einer angeborenen Vagheit geplagte Begriff der Metafiktion) unternimmt Ansgar Nünning im Jahre 2001 mit dem Aufsatz Mimesis des Erzählens. Obwohl diesem Aufsatz zahlreiche bedeutende Einsichten anderer Autoren vorangehen und Nünning sich bei der Entwicklung seiner Thesen und Konzepte z.B. auf Werner Wolf, Chatman, Prince uvm. berufen kann, erscheint Mimesis des Erzählens mit seinen Erweiterungen und Vervollständigungen durch Monika Fludernik noch immer als ein richtungsweisender, als ein paradigmenbildender Text, der erstmals viele Verwirrungen, Missverständnisse, Voreingenommenheiten und Unschärfen ausräumt.

Obwohl die Diskussion um Metanarration und Metafiktion sich derzeit eher am Rande des literaturtheoretischen Diskurses abspielt, wird in den einschlägigen narratologischen Theorien, insbesondere bei A. Nünning, M. Fludernik, W. Wolf und P. Waugh, um einige zu nennen, den Phänomenen der Metanarration und der Metafiktion mehr und mehr Aufmerksamkeit gewidmet. Auch in für die Hand von Studierenden bestimmte Einführungen in Erzähltextanalyse und Erzähltheorie findet das Konzept der Metanarration allmählich Eingang.

Bemerkungen zum Metanarrationsbegriff bei Gérard Genette, Mieke Bal und Umberto Eco

Ein zusätzlicher und vielleicht einer der bedeutendsten Gründe für die Randstellung der Diskussion um die Metanarrativität liegt darin, dass einflussreiche Vertreter der Erzählwissenschaft, wie Gérard Genette, Mieke Bal oder Umberto Eco, sich auf dieses ganze Problemfeld gar nicht oder nur sehr am Rande eingelassen haben.

So werden dem Erzähler in Gérard Genettes berühmter Untersuchung Diskurs der Erzählung gerade einmal vier Seiten gewidmet. Zudem verwundert es nicht, dass Genette dem Problem der Metanarration- und Fiktion im Sinne Nünnings keine Aufmerksamkeit schenkt, wenn man sich den Rahmen dieser Untersuchung vergegenwärtigt - die ja im Grunde eine überaus genaue Textanalyse von Prousts Auf der Suche nach der verlorenen Zeit ist und daher eine Theorie ergibt, die genau auf einen konkreten Text zugeschnitten ist, mit dem Fokus auf diese eine bestimmte Erzählsituation usw. Der Begriff der Metanarration erscheint bei Genette im Diskurs der Erzählung und in Neuer Diskurs der Erzählung in zwei verschiedenen Bedeutungen. Genette verwendet das französische Wort ´metanarratif´ (‚metanarrative‘ in der englischen Übersetzung, ‚metanarrativ‘ in der deutschen) bei der Definition einer der fünf ´Funktionen des Erzählers´:

Der zweite Aspekt ist der narrative Text, auf den sich der Erzähler in einem gewissermaßen metasprachlichen (hier metanarrativen) Diskurs beziehen kann, um dessen Gliederungen, Verbindungen und wechselseitigen Bezüge, kurz seine innere Organisation deutlich zu machen: Diese „Organisatoren“ des Diskurses, die Georges Blin „Regiebemerkungen“ nannte, gehören zu einer zweiten Funktion, die man Regiefunktionen nennen kann.

Der hier verwendete Begriff der Metanarration ist freilich sehr eng gehalten, denn ´Regiebemerkungen´ stellen nur eine Form der Matanarration im Modell Nünnings. Verblüffenderweise finden wir im Neuen Diskurs der Erzählung nicht nur keine Ergänzung des Metanarrationsbegriffs, sondern auch den folgenden Absatz, der stellvertretend für das Kapitel Funktionen des Erzählers aus der älteren Untersuchung Diskurs der Erzählung das Kapitel mit dem Titel Der narrative Adressat einleitet:

Etwas rasch habe ich die Funktionen des Erzählers abgehandelt (S. 183-186). Indem ich aber unterschied zwischen einer narrativen Funktion, die nach aller Logik bereits in dem, was vorausging, untersucht worden war, sowie vier extra-narrativen Funktionen, die, ebenfalls nach aller Logik, in einer Arbeit über den narrativen Diskurs nichts zu suchen haben, war ich davon dispensiert, mehr dazu zu sagen (die Logik hat doch wirklich ihr Gutes).

Was Genette mit diesem Absatz kurzerhand als Funktionen, die „in einer Arbeit über den narrativen Diskurs nichts zu suchen haben“ abtut, das sind neben der von ihm unterschiedenen narrativen Funktion die folgenden vier ´extra-narrativen´ Funktionen:[22] ´Regieanweisungen´ (deren Beschreibung auf der vorigen Seite zitiert wurde), ´Kommunikationsfunktion´ (diese schließt die phatischen und appellativen Funktion ein und bezeichnet die „Ausrichtung des Erzählers auf den Adressaten“), ´Testimoniale´ oder ´Beglaubigungsfunktion´ („Verifizierung oder Bekräftigung des Berichteten“) und die ´ideologische Funktion´ (die Genette folgendermaßen definiert: „Aber die direkten oder indirekten Einmischungen des Erzählers in die Geschichte können auch die didaktischere Form eines autorisierten Kommentars der Handlung annehmen: Hier haben wir dann etwas, was man die ideologische Funktion des Erzählens nennen könnte […]“) . Dass zumindest einige dieser Funktionen mit den von Genette gegebenen Definitionen allzu eng gefasst sind kommt besonders bei der ´ideologischen Funktion´ zum Vorschein, wo die Einmischung des Erzählers auf die Handlungsebene auf moralisierende Kommentare reduziert wird.

Ein Erzähler, der das eigene Schreiben oder den eigenen Text thematisiert, wird hier nicht einmal als Möglichkeit in Betracht gezogen. Diese lakonischen und ergänzungsbedürftigen Definitionen aus dem Diskurs des Erzählens wiederum werden dann im Neuen Diskurs des Erzählens gänzlich abgeschafft. Betrachtet man das Spektrum dieser Funktionen, so wird ersichtlich, dass das, was Genette hier vorschwebt, auf die Verbannung aller die Erzählillusion fördernden Kategorien und fast des gesamten Erzählvorgangs aus dem Gegenstandsbereich der Narratologie hinausläuft.

Doch Metanarration taucht in der englischen Übersetzung von Genettes Werken in einer anderen Bedeutung auf, was hier wohl als ein Missgeschick des Übersetzers zu deuten ist, denn Genette verwendet dafür ein anderes Wort als ‚metanarratif‘ – nämlich ´metarecit´. In der deutschen Übersetzung wird dies als ´Metaerzählung´ übersetzt, was trotz einiger Ambivalenz eine bessere Differenzierung von Metanarrativität darstellt. Da dieser Begriff in der Forschung mehrfach Missverständnisse ausgelöst hat, versucht Genette in Neuer Diskurs der Erzählung selbst einige davon aus dem Weg zu räumen indem er mit der folgenden Definition von ´Metarecit´ erneut auf seinem eigentümlichen Gebrauch des Präfixes „meta-“ hinweist:

Das Präfix ´meta-´ funktioniert hier gerade umgekehrt wie im logisch-linguistischen Gebrauch, wo eine Metasprache eine Sprache ist, in der man über eine (andere) Sprache spricht, während in meinem Vokabular eine Metaerzählung eine Erzählung ist, die in einer (anderen) Erzählung erzählt wird.

Also auch hier handelt es sich um einen ganz anders gedachten Begriff, der für eingebettete Erzählungen in einer erzähllogisch übergeordneten Erzählung steht.

Genette stellt bei der weitgehenden Meidung dieses Problemfeldes des thematisierten und inszenierten Erzählens keine Ausnahme dar, wenn auch seine Haltung gegenüber diesem Thema sicherlich überaus einflussreich gewesen sein dürfte.

Zum Forschungsstand der theoretischen Modellbildung in Bezug auf den Erzählvorgang äußert sich Nünning in Die Funktionen von Erzählinstanzen: Analysekategorien und Modelle zur Beschreibung des Erzählerverhaltens. Auch in Mimesis des Erzählens stellt Nünning fest:

„Weder in neuen Überblicksdarstellungen oder Einführungen in die Erzähltheorie noch in bahnbrechenden Spezialstudien wie Monika Fluderniks Towards a `Natural` Narratology (1996) oder Andrew Gibsons Towards a Postmoden Theorz of Narrative (1996) spielen der Akt und die Mimesis des Erzählens oder die Metanarration mehr als eine untergeordnete Rolle.“

Auch bei Mieke Bal finden wir einen ähnlichen Gebrauch des Begriffes ‚Metanarration‘ wie bei Genette, der nicht auf die Thematisierung des Erzählens bezogen wird, sondern auf die Einbettung einer Geschichte in eine ihr übergeordnete Geschichte:

„A relationship of subordination exists between two narratives located at different narrative levels. We are dealing here with „metanarrative“, the narrative, within narrative – not only narratives that are framed or embedded (as in Manon Lescant or The Thousand and One Nights) but also less obvious insertions within a narrative.

Eine der ersten umfangreichen Untersuchung zur Metanarration hat Linda Hutcheon 1980 unter dem Titel Narcissistic Narrative verfast. The Metafictional Paradox veröffentlicht. Hier wird der Begriff ´metafiction´ synonym zu Nünnings Metanarration verwendet – als ein Oberbegriff für verschiedene Typen selbstreflexiven Erzählens, auch solcher, die den Erzählvorgang thematisieren, nicht aber automatisch auf den Fiktionalitätscharakter des Erzählens oder des Erzählten hinauslaufen. Hutcheon liefert Ansätze zu einer Typologie der Metanarration und einzelne Fallanalysen, an denen einige Beschreibungsprobleme auf theoretischer Ebene exemplifiziert werden, distanziert sich jedoch von der Herausarbeitung detailierter Kategorien, mit folgender Begründung:

There can be no “theory” of metafiction, only “implications” for theory; each self-informing work internalizes its own context. To ignore that is to falsify the text itself.

Dagegen wäre zu erinnern, daß Texte mit ausgeprägter Metanarrativität tatsächlich so etwas wie eigene ´Poetiken´ zu erzeugen vermögen - oder, um es anders zu sagen, eine eigene Gebrauchsanweisung. Das wird weiter am Beispiel von der Erzählung Un drame bien parisien von Alphonse Allais vorgeführt. Auch die Litauischen Claviere gehören, wie im 3. Kapitel zu zeigen sein wird, hierher. Das Argument überzeugt jedoch in einer weiteren Hinsicht nicht. Auch wenn die Form der Metanarration und ihre Mittel für die Erzeugung einer impliziten, in gewisser Weise über den Text hinausgehenden Bedeutungsebene, die den Text, seine Konstruktion, seine Vermittlung oder andere Aspekte thematisiert, sehr unterschiedlich ausfallen dürften, bedeutet dies nicht, dass in den unterschiedlich anmutenden Strategien keine Gemeinsamkeiten festgehalten werden können - was wiederum, wenn nicht Modellbildung, dann zumindest die Entwicklung von Beschreibungskategorien erlaubt.

Auch bei Umberto Eco finden wir, zumindest in der englischen Fassung, den Begriff der ´metanarration´ (der im Übrigen in der gleichen Übersetzung auch synonym zu ´metatext´ verwendet wird ), der in der deutschen Übersetzung konsequent durch ´Meta-Text´ ersetzt wird. In seinem Lector in Fabula bezeichnet Eco die Erzählung Un Drame bien parisien (1890) von Alphonse Allais als einen ´Meta-Text´ (italienisch: ‚meta-testo‘), deren ´meta-textuelle´ Botschaft die folgende ist:

Allais will uns sagen, daß nicht allein Drame, sondern jeder Text aus zwei Komponenten besteht, die vom Autor vorgesehene und die vom Leser hinzugefügte Information, wobei die zweite von der ersten ausgerichtet und determiniert wird. Um dieses meta-textuelle Theorem darzulegen, zwingt Allais den Leser, den Text mit Informationen auszufüllen, die der Fabel widersprechen, er verpflichtet ihn gewissermaßen zur Mitarbeit an einer Geschichte, die sich dann überhaupt nicht ereignet. Das Scheitern von Drame als Fabel ist der Sieg von Drame als Meta-Text.

Mit ´Meta-Text´ ist hier also ein Text gemeint, der seine eigene Konstruktion implizit zum Thema macht. In dieser Thematisierung werden generalisierbare Aussagen über literarische Texte offengelegt. Es handelt sich dabei um Inhalte, die der Text nicht explizit benennt. Daher spielt die Mitarbeit des Lesers eine entscheidende Rolle. Der Leser tappt in die Falle des Erzählers und richtet seine Erwartungen auf den klischeehaften (diese Eigenschaft wird vom Erzähler mit Einschüben wie „versteht sich“, „ein hübscher Name für Liebeleien“ usw. hervorgehoben) Code von Ehebruchsgeschichten aus. Doch dieser durch verschiedene Textstrategien evozierte Code, der den Leser die Zuspitzung des Konflikts (die auf das gegenseitige Ertappen beim Ehebruch ausgerichtet ist) erwarten lässt, stellt sich als der falsche aus, denn der Ehebruch findet nicht statt. Statt dessen wird hier ein überaus ambivalentes Kapitel eingeschoben, das einen Bruch mit den Erwartungen des Lesers erzeugt und eine von der Handlungsebene aus betrachtet narrativ-logische interpretatorische Lösung des Konflikts (der Streitigkeiten des Liebespaars) unmöglich macht.

Der Leser ist bei einer wiederholten Lektüre gezwungen, einzusehen, dass bei einer textnahen Lektüre der Ehebruch vom Text nicht einmal in Aussicht gestellt wird, sondern von dem Code, den er selbst bei der ´Mitarbeit´ am Text verwendet hat. Diese metanarrative Aussage entsteht gewissermaßen auf Kosten der Handlungsebene, deren Kohärenz hier eingebüßt wird. Gleichzeitig ist gerade dieses „Scheitern“ der Handlung eine Voraussetzung für die Etablierung einer Bedeutungsebene, die über den fixierten Text selbst hinausgeht, für das Entstehen der metanarrativen Botschaft.

Obwohl Eco, der sich bei der Textanalyse in Übereinstimmung mit seiner Theorie von der ‚Mitarbeit´ des Interpreten vor allem auf die Rolle des Lesers für die Konstituierung der Interpretation konzentriert, sich hier mitten im Problembereich der Metanarration befindet, entwickelt er keine theoretischen Beschreibungsmodelle oder Begriffe hierfür (abgesehen von dem ambivalenten ´meta-testo´). Nichts desto trotz bezeichnet er hier sehr treffend mehrere Phänomene dieses Bereichs, die für eine narratologische Beschreibung sehr problematisch sind. An einer anderen Stelle liefert Eco eine explizitere Beschreibung dessen, was er sich unter dem Begriff ´meta-testo´ vorstellt:

In Wirklichkeit gehört Un drame bien parisien zu einem erlesenen Club von Texten, dessen Vorsitz, wie ich glaube, Tristam Shandy führt: der Club der Texte, in denen erzählt wird, wie man Geschichten macht.

Dies bezeichnet nun einen bedeutenden Teil der ´Metanarration´, wie sie bei Nünning definiert wird. Konkreter hätten wir es hier mit einem Fall der ´impliziten Metanarration´ zu tun, denn auf der Handlungsebene wird das Erzählen nicht thematisiert und explizite metanarrative Signale auf der Erzählebene erhalten wir auch nur spärlich. Zudem handelt es sich hier nicht nur um thematisiertes, sondern auch um ´inszeniertes Erzählen´, denn es ist offensichtlich nicht die Erzählillusion, an der dem Verfasser des Textes gelegen ist, sondern wohl eher der Effekt dieser Illusionsdurchbrechung auf den ´Modelleser´[34], indem ihm sein eigenes Lese- oder Interpretationsverfahren vorgeführt wird – der Text lässt ihn gewissermaßen sich selbst überführen. Vielmehr entwickelt sich die ´Haupthandlung´ der Geschichte des Textes in der Interaktion zwischen Leser und Text (was laut Eco den Normalfall der Interpretation darstellt, jedoch handelt es sich in diesem Text offensichtlich um einen Extremfall, denn diese Interaktion ist für die Sinngestaltung unentbehrlich). Ohne die in diesem Fall übereifrige ´Mitarbeit´ des Lesers entstünde keine ´Geschichte´ – der Text wäre bloß eine missglückte, unlogische Erzählung.
An dieser Textanalyse erkennen wir eines der Probleme, die ein Modell, das um die Handlungsebene zentriert ist, mit einem Text dieser Art verursacht – die Handlung ist nämlich nicht nur ausschließlich der Handlungsebene vorbehalten, was dieses Modell aber nicht berücksichtigen kann. In diesem Extremfall, wenn man das Abspielen der ´eigentlichen´ (metadiegetischen) Geschichte im Text zu verorten versucht wäre, müsste man diese wohl auf der Rezeptionsebene des Modell- oder empirischen Lesers ansiedeln. Denn im Text selbst gibt es keine Ebene – weder die der Handlung noch der des Erzählvermittlung – die allein oder in Korrelation zu einer anderen textimmanenten Ebene diesen Effekt ohne die Einführung des „falschen“ aber intendierten Codes durch den Leser erzeugen könnte.

Wie wir später sehen werden, wird in mehreren Texten Bobrowskis, vor allem im Roman Litauische Claviere, ein ganz ähnliches Spiel gespielt, wenn auch in einer weniger radikalen Form. Auch dort wird die Haupthandlung von der Handlungsebene abgehoben und auch dort spielt sie sich auf der Ebene des Erzählers oder der Erzählvermittlung ab.

An diesem Text erkennen wir also, dass die Haupthandlung eines Textes dank metanarrativer Strategien auch auf anderen Ebenen stattfinden kann als bloß auf der Handlungs- oder Darstellungsebene. Dabei ist diese Haupthandlung auf keiner der textuellen Ebenen expliziert – sie ist nur implizit aus der Erzählstrategie erschließbar. Die Rolle der Handlungsebene wird so stark reduziert, denn ihre wichtigste Funktion in diesem Text ist es, das eigene Scheitern vorzuführen, um dadurch indexikalisch auf andere Sinn konstituierende Ebenen zu verweisen.

Es handelt sich hier also um einen in erster Linie metanarrativen Text in dem Sinne, dass er seine eigene Konstruiertheit offenlegt, wodurch die Mitarbeit des Lesers an diesem Text selbst zum Thema gemacht wird. Gleichzeitig ist es eine generalisierbare Aussage über die Funktionsweise literarischer Texte insgesamt - was sich mit dem zweiten Aspekt des ´meta-testo´ trifft, den Eco bei seiner Untersuchung im Auge hat.

An diesem Beispiel erkennen wir, dass die Erzählillusion keineswegs der Geschehensillusion untergeordnet sein muss und dass normative, hierarchisierende Bezeichnungen wie Primär- und Sekundärillusion sehr in die Irre führen können, weil die Prävalenz einer dieser Illusionen und damit der Erzähl- oder Handlungsebene durchaus unterschiedlich ausfallen kann. Im Falle von Un drame bien parisien wird die Geschehensillusion gewissermaßen geopfert, um unsere Aufmerksamkeit auf die Konstruktion des Textes und damit den Akt des Erzählens zu lenken und so metanarrative Aussagen zu ermöglichen.

Geschehensillusion, Erzählillusion und Metanarration – der Ansatz von Ansgar Nünning

Die hierarchische Bevorzugung der Handlungsebene oder der Geschehensillusion gegenüber der Erzählillusion in der Forschung (die hier anhand der einflussreichen Theorie Genettes beispielhaft verdeutlicht wurde), unter anderem, auch auf eine bestimmte und keineswegs unumstrittene Lesart von Aristoteles Definition der Dichtung zurückzuführen, die als Nachahmung von Handlung definiert wird. Schon 1978 macht Barbara Herrnstein Smith folgende scharfsinnige Bemerkung:

The essential fictiveness of novels is not to be discovered in the unreality of the characters, objects and events alluded to, but in the unreality of the alludings themselves. In other words, in a novel or tale, it is the act of reporting events, the act of describing persons and referring to places, that is fictive. The novel represents the verbal action of a man reporting, describing, and referring.

Das heißt also, in anderen Worten, dass ein Text nicht eine Mimesis der Wirklichkeit darstellt, sondern eine Mimesis des narrativen Aktes der eine Geschichte erzeugt. Ferner ist auch der Akt des Erzählens selbst als eine Handlung (´verbal action´) zu verstehen. Auf eine ähnliche Neuinterpretation des Aristoteles zielt offensichtlich auch Linda Hutcheon, die sich (an der schon zitierten Stelle) direkt auf Aristoteles bezieht und in ihrer Interpretation die Diegesis als Teil der Mimesis versteht. Mit ihrer Betonung des ´process´, der unweigerlich einen untrennbaren Teil von ´product´ darstellt, spricht sie zudem nicht nur die problematische Trennung dieser Ebenen an, sondern auch ihre ungleiche Gewichtung. Zwar beruft sich Nünning nicht auf diese beiden Autorinnen, doch führt er ähnliche Einsichten bei James Phelan und bei Sheridan Baker an, der diesen Sachverhalt lakonisch in diesem Satz zusammenfasst: „Fiction does not imitate reality out there. It imitates a fellow telling about it.“

Nünning begründet die Notwendigkeit der Herausarbeitung des von ihm vorgeschlagenen Begriffs der Erzählillusion damit, dass

in vielen literarischen Erzähltexten der Akzent weniger auf dem erzählten Geschehen als auf dem Akt des Erzählens selbst liegt. Eine solche Erzählillusion beruht auf „der Vorstellung eines scheinbar persönlich mit dem Leser sprechenden Erzählers“ (Wolf 1993: 102).

Er verweist ferner darauf, dass eine vordergründige Erzählillusion keineswegs automatisch zu einer Störung der ´Primärillusion´, wie es bei Wolf heißt, oder der Geschehensillusion führen muss und zitiert eine Stelle bei Wolf, an der dieser selbst darauf hinweist, dass „die plastische Vorstellbarkeit der Erzählinstanz auch durchaus mit einer intakten Primärillusion der diegetischen Ebene harmonieren kann (Wolf 1993: 309)“ Schließlich fasst Nünning das Verhältnis von Erzählillusion und Geschehensillusion wie folgt zusammen:

Strenggenommen ist ohnehin eigentlich nicht die Geschehensillusion das Primäre, sondern die Erzählillusion, weil der Akt des Erzählens das Erzählte – die Ebene der Figuren und der Geschichte – überhaupt erst hervorbringt. Im Gegensatz zur Privilegierung der an der diegetischen Ebene ausgerichteten Geschehensillusion trägt das Konzept der Erzählillusion der Tatsache Rechnung, daß literarische Erzähltexte aufgrund der konstitutiven ´Mittelbarkeit des Erzählens´(sensu Stanzel) zunächst einmal nicht die ´Wirklichkeit´ nachahmen, sondern den Akt des Erzählens.

Nünning bemerkt, dass die Narratologie bisweilen die diegetische Ebene der Handlung privilegiert hat, während der Akt des Erzählens, der einer ´metadiegetischen´ Ebene zugeordnet wird, marginalisiert wurde. Das von ihm vorgeschlagene Begriffspaar von ‚Erzähl-‚ und ‚Geschehensillusion‘ vermeidet solche normative Hierarchien implizierende Begriffe wie Primär- und Sekundärillusion oder gar die den Erzählvorgang per definitionem aus dem narratologischen Gegenstandsbereich ausschließende Zuordnung zu einer ´extradiegetischen´ Ebene, wie wir sie bei Genette vorfinden. Anstelle einer Privilegierung einer der Ebenen und der auf sie ausgerichteten Illusionstypen schlägt Nünning eine Skalierung der Illusionstypen vor,

deren Pole Geschehensillusion auf der einen Seite und Erzählillusion auf der anderen gebildet werden. Dazwischen entfaltet sich ein Kontinuum von Möglichkeiten, bei denen die Dominanzverhältnisse zwischen den diegetischen Typen von Illusion (also Geschehens-, Figuren-, Rede-, Gedanken-, und Raumillusion) auf der einen Seite und der extradiegetischen Erzählillusion auf der anderen variabel sein können.

Dieses skalierte Modell der Verhältnisse zwischen diesen beiden Typen der Illusion trägt der Tatsache Rechnung, dass wir es in der Praxis mit verschieden gearteten Mischungen dieser Typen zu tun haben und selten, wenn überhaupt je, mit einem Fall, der unter eines der beiden Extreme fällt und dass wir gleichzeitig auch keinen dieser Typen normativ als das Dominante oder hierarchisch Höhere postulieren können.

Da den Ausgangspunkt dieser Überlegungen die von mehreren Autoren vorgeschlagen Uminterpretation des Aristotelischen Mimesisbegriffs darstellt, macht Nünning in diesem Zusammenhang den Vorschlag, die Akzentverschiebung auf den Erzählvorgang, den Akt des Erzählens in Abgrenzung von der Nachahmung der Wirklichkeit als eine Mimesis zweiter Ordnung zu denken, die er, offensichtlich um erneuten hierarchisierenden Implikationen vorzubeugen, als die ´Mimesis des Erzählens´ bezeichnet, was auch „die Aufmerksamkeit auf die Tatsache [lenkt], daß nicht allein die Handlung und die Figuren auf der Ebene der erzählten Welt Objekt der Mimesis sind, sondern auch der Prozeß des Erzählens.“ Wie schon vorher angedeutet, wurden ähnliche Vorschläge im Ansatz von mehreren Autoren gemacht. Doch findet sich bei Nünning eine überaus systematische Behandlung des Themas und eine überzeugende und differenzierte Begriffswahl, die eine normative Abwertung des Erzählvorgangs gegenüber der erzählten Welt und die daraus resultierende Zentriertheit auf die Handlungsebene verhindert.

Gleichzeitig bedeutet dies eine Aufwertung des Erzählvorgangs. Daraus folgt, dass „der Erzähler nicht bloß als „a vehicle relaying a plot“ anzusehen [ist], sondern „as a performative figure in the configuration of narrative“ (Williams 1998: 26).“ Damit haben wir hier einen Ansatz, der zwar zwischen einer Ebene des Erzählvorgangs und der Handlungsebene unterscheidet, jedoch nicht statisch ist und keine der beiden Ebenen normativ privilegiert. Wenn der Akt des Erzählens selbst als ein Teil der ´Geschichte´ angesehen wird, dann wird eingeräumt, dass dieser ebenso viel Potential besitzt, bei der Sinnerzeugung eine Rolle zu spielen, wie die Erzählte Welt (Handlung, Figuren, usw.) selbst, was eine unverzichtbare Voraussetzung für die Interpretation vieler Texte ist.

Zu den textuellen Faktoren, die zur Entstehung einer Erzählillusion beitragen, zählt Nünning in erster Linie die Repräsentation von ´story telling scenarios´, durch die der Akt des Erzählens literarisch inszeniert wird. Es werden vier grundsätzliche Typen unterschieden:

Szenisch dargestelltes oder dramatisiertes Erzählen, “bei dem sich Erzähler und Zuhörer in einer konkreten raum-zeitlich deiktisch spezifizierten Erzählsituation (im eigentlichen Sinne des Wortes ´Situation´ befinden […].“ Ein typisches Beispiel hierfür wäre die Struktur der Rahmenerzählung.

Der auf der Ebene der erzählerischen Vermittlung inszenierte Akt des Erzählens. Auktoriales Erzählen oder die Monologerzählung eines Ich-Erzählers wären typische Beispiele hierfür.

Thematisiertes Erzählen – nicht im Sinne von metanarrativem Kommentar, sondern in der Form der „Zusammenfassung von Erzählvorgängen auf der Figurenebene durch einen übergeordneten Erzähler oder eine Figur“

Verschiedene Formen der Metanarration – Reflexionen über das Erzählen, Thematisierung des Aktes des Erzählens, selbstreflexive Außerungen über den Aufbau der Erzählung usw.

Ferner nennt Nünning zusammenfassend sieben weitere Faktoren, die die Entstehung der Illusion einer ´Mimesis des Erzählens´ fördern.

1. Das Subjekt der erzählerischen Aussagen ist eine anthropomorphisierbare Instanz –ein expliziter Erzähler, der den Eindruck seiner Anwesenheit vermittelt und der als personalisierbarer Sprecher auftritt.

Häufige, direkte Ansprache des fiktiven Lesers durch die Erzählinstanz in der Form von phatischen und appellativen Außerungen, was wiederum zur Personalisierung des Erzählers beiträgt.

3. Akzentuierung der Kommunikation auf der Ebene der erzählerischen Vermittlung: „Sowohl appellative Erzähleräußerungen als auch solche, die das Interesse des Rezipienten am Erzählgeschehen oder am Erzählvorgang wecken oder aufrechterhalten, haben stets eine implizit phatische Funktion.“
4. Merkmale mündlichen Erzählens (wie Umgangssprache und sprunghafte Wiedergabe), die den Eindruck einer (fingierten) Mündlichkeit erwecken.
5. Subjektive und Evaluative Färbungen des Erzählten, die den Eindruck der Subjektivität eines Sprechers erwecken.

6. Generalisierungen und Sentenzen des Erzählers, die abstrahierend und mittelbar auf die erzählte Welt bezogen werden. Durch solche verallgemeinernden Aussagen wird die Aufmerksamkeit des Lesers auf den expliziten Leser und seine Kommunikation mit dem Leser gelenkt.
7. Thematisierung des Akts des Erzählens durch metanarrative Außerungen. „Regiebemerkungen, Vor- und Rückverweise sowie andere metanarrative Reflexionen verleihen Erzählungen nicht bloß ein hohes Maß an Selbstreflexivität, sondern sie profilieren zugleich auch den Akt des Erzählens.“
Metanarrativen Erzähleräußerungen misst Nünning eine entscheidende Rolle zu:

In ihrer Gesamtheit haben die genannten Textverfahren zur Folge, daß das Geschehen auf der Ebene der Figuren gegenüber der Kommunikation zwischen der Erzählinstanz und dem fiktiven Adressaten auf der Ebene der erzählerischen Vermittlung in den Hintergrund tritt bzw. – wirkungsästhetisch gewendet – daß der Eindruck der Mimesis des Erzählens entsteht, der Eindruck, daß ein Erzählvorgang nachgeahmt werde. Besondere Bedeutung für diese Profilierung des Akts des Erzählens kommt metanarrativen Erzähleräußerungen zu, denn diese thematisieren das Erzählen und machen es als Erzählen bewusst.

Es liegt natürlich auf der Hand, dass der Begriff der ´Metanarration´ im Sinne Nünnings nicht auf Lyotards grand recít (die ´Große Erzählung´) zurückgreift, der sich in der englischen Übersetzung als ´metanarrative´ eingebürgert hat. Wie schon bemerkt, bezieht sich Nünnings Metanarration auch nicht auf das Phänomen von eingebetteten Geschichten im Sinne eines „narrative within a narrative“, wie wir es z.B. bei Genette oder Mieke Bal beschrieben vorfinden.
Bei der Entwicklung der ´Metanarration´ verweist Nünning auf die Notwendigkeit der deutlichen Differenzierung zwischen ´Metanarration´ und ´Metafiktion´. Diese Begriffe werden oft synonym verwendet, vor allem in der anglosächsischen Tradition. Dem im Englischen verbreiteten Begriff der ´metafiction´ werden oft auch Formen der Metanarration zugeschrieben. Zudem wird diese Differenzierung im Englischen dadurch erschwert, dass zwar ´metanarrative´ als Adjektiv existiert, das entsprechende Substantiv aber traditionell ´metafiction´ heißt statt etwa *metanarrative oder *metanarration.
Die Notwendigkeit einer strikten Trennung der Begriffe ergibt sich daraus, dass ´Metanarration´ das Thematisieren des Erzählens oder des Erzählvorganges bezeichnet, während ´Metafiktionalität´ für die „Thematisierung der Fiktionalität des Erzählten oder auch des Erzählens“
steht. Was diese Konzepte ferner sehr deutlich unterscheidet, ist die Tatsache, dass Metanarration auch in Genres nichtfiktionalen Charakters auftritt. Auch bei der Funktion beider Begriffe gibt es zwar Überlappungen, aber ebenso deutliche Unterschiede. Genau wie im Falle der Metafiktion können auch metanarrative Kommentare illusionsstörende Effekte hervorrufen, wenn z. B. die Fiktionalität der Figuren oder der Handlung implizit oder explizit offengelegt wird. Doch ist der Begriff der Metanarration nicht auf Illusionsstörende oder -durchbrechende Effekte allein beschränkt. Ganz im Gegenteil kann die Metanarration auch authentifizierende oder legitimierende Effekte für das Erzählte hervorbringen – etwa wenn sich ein Erzähler auf Urkunden, Tagebücher oder andere Dokumente als „Quellen“ beruft – auch wenn diese ebenso fiktionalen Charakters sein können, fördert dies die Erzählillusion:

Gerade das Konzept der Erzählillusion verdeutlicht, dass metanarrative Außerungen keineswegs die ästhetische Illusion stören müssen: Vielmehr können sie ganz im Gegenteil mit ihrer Akzentuierung des Akts des Erzählens eine eigenständige Art von Illusionsbildung begünstigen und eine entsprechend andere ´Naturalisierungsstrategie´ nahelegen.

An dieser Stelle scheint die Bemerkung angebracht, dass Nünning weder in Mimesis des Erzählens noch in Metanarration als Lakune der Erzähltheorie eine deutliche Position zu der Beziehung zwischen Metanarration und Metafiktion bezieht.

In der Einführung in die Erzähltextanalyse von Silke Lahn und Jan Christoph Meister, die sich im Kapitel zu Metanarration und Metafiktion weitgehend auf Nünnings Modell beziehen, finden wir eine Grafik, die der Metafiktion eine der Metanarration logisch übergeordnete Stellung zuweist, sie also auf der nächsthöherliegenden Ebene ansetzt. Dies erscheint problematisch. Dass in Nünnings System die Metafiktion nicht lediglich eine Funktion der Metanarration darstellt, können wir aus seinem Modell Nr. 3 erschließen. Die von Nünning mehrfach betonte Notwendigkeit der Unterscheidung von Metanarration und Metafiktion als grundsätzlich verschiedenen Formen narrativer Selbstreflexivität kann jedoch leicht als Vorschlag auch für eine systematische Trennung der Begriffe interpretiert werden. Gleichzeitig jedoch finden wir neben dem Modell Nr. 3 auch folgende Festlegung:

Metanarrative Einschübe können zwar bisweilen eine illusionsstörende Wirkung haben, wenn sie zugleich eine Fiktionalität der Figuren offenlegen, aber dies ändert nichts an der grundsätzlichen theoretischen Unterscheidung von Metanarration und Metafiktion.

Obwohl auch diese Stelle etwas verwirrend und ambivalent ist, können wir ihr doch entnehmen, dass die Metanarration, sobald sie die Fiktionalität des Erzählten aufdeckt (die von der Fiktionalität einer Figur natürlich impliziert wird), die gleiche Funktion, die der Metafiktion zugeschrieben wird, erfüllen kann. Des Weiteren sehen wir bei Nünning auch, dass Metanarration (während sie selbst eine Funktion der narrativen Ebene ist) sich auf dieselben textuellen Ebenen und Aspekte beziehen kann wie die Metafiktion, einschließlich der Ebene des Erzählvorgangs, der Handlungsebene und der einzelnen Elemente der jeweiligen Ebenen. Demnach besteht für die Metafiktion keine exklusive Systemgröße, außer der Bezeichnung für den spezifischen Fall der Metanarration, bei der implizit oder explizit die Fiktionalität des Erzählvorgangs oder des Erzählten zum Thema gemacht wird. Dieses Problem erkennt auch Monika Fludernik in ihrem Versuch, Nünnings Modell an Texten zu erproben.[60] Am schwierigsten stellt sich die Differenzierung zwischen Metanarrativität und Metafiktionalität dar, denn oftmals implizieren metanarrative Aussagen die Fiktionalität des Erzählten oder des Erzählvorgangs. Dies zwingt Fludernik, die Definition von ‚Metafiktion‘ stark einzuschränken. Indem sie sich auf das Modell Nr. 3 von Nünning beruft, unterstützt sie dieses Konzept, indem sie Metafiktion als eine der Funktionen metanarrativer Aussagen anerkennt, und sie ergänzt es dadurch, dass sie die Definition von ‚Metafiktion‘ noch weiter einschränkt – auf das, was bei Wolf als ´explizite Metafiktion´ definiert wird, die auf der Ebene des Erzählvorgangs sowohl den ´fictio-Charakter‘ (Fiktionalität des Erzählens) als auch den ´fictum-Charakter‘ (Fiktionalität des Erzählten) des Textes offenbaren kann. Demnach suggeriert diese Hierarchie, wie sie sich bei Lahn im Bild dargestellt findet, eine falsche Vorstellung von der Beziehung zwischen Metafiktion und Metanarration.

Um der Definition der Metanarration mehr Trennschärfe zu verleihen, unterscheidet Nünning diese von Formen selbstreflexiven Erzählens, die zwar gleichfalls selbstreflexiv sind, jedoch nicht metanarrativ – in denen also der Akt des Erzählens oder Faktoren des Erzählvorgangs nicht thematisiert werden. Dazu zählt er vor allem verschiedene Formen der ´mise en abyme´. Diese wird von Wolf wie folgt definiert:

Die mise en abyme ist die Spiegelung einer Makrostruktur eines literarischen Textes in einer Mikrostruktur innerhalb desselben Textes. Gespiegelt werden können Elemente der fiktiven histoire, Elemente der Narration, sprich Elemente der Vermittlungs- und Erzählsituation selbst, oder poetologische Elemente (allgemeiner Diskurs, über die Erzählsituation hinaus).

Ein geläufiges Beispiel für diese Struktur wäre eine Erzählung über einen Schriftsteller, der einen Roman verfasst.

Auch ist die Metanarration natürlich von der Metasprache und von linguistischer Selbstreflexion zu unterscheiden, die sich auf die Ebene des Sprachlichen bewegen – darunter Wortspiele und Witze, die auf diese Ebene aufgebaut werden.

Eine ausführliche und zusammenfassende Definition der Metanarration schließlich liegt in den folgenden Passagen vor:

Unter dem Begriff der metanarrativen Erzähleräußerungen sind also diejenigen Kommentare und Reflexionen einer Erzählinstanz zu subsumieren, die Aspekte des Erzählens in selbstreflexiver Form thematisieren und damit die Aufmerksamkeit auf den Erzählvorgang richten. […] In metanarrativen Außerungen kann eine Erzählinstanz Fragen der literarischen Produktionspraxis oder ästhetische Probleme erörtern oder aber den gegenwärtigen Erzählvorgang zum Thema machen.

Ferner unterstreicht Nünning, dass durch die Thematisierung des Erzählens die Metanarration dieses vor allem als Erzählen bewusst macht und daher stark zu der Entstehung der Erzählillusion beiträgt. In der folgenden Stelle ergänzt er diese Definition noch um die kommunikative Dimension der Metanarration:

Metanarrativ sind mithin nicht nur Aussagen, die den Prozess des Erzählens thematisieren, sondern auch solche, die sich auf die Kommunikation mit dem fiktiven Leser auf der Ebene der erzählerischen Vermittlung richten.

Schließlich finden alle diese Faktoren Eingang in die von Nünning vorgeschlagene, etwas weiter gefasste Definiton der Metanarration:

´Metanarrativ´ in einem weiteren Sinne sind daher alle vermittlungsbezogenen Funktionen von Erzählinstanzen, d.h. Erzähleräußerungen mit primärem Bezug zum Erzählvorgang bzw. zur Kommunikationssituation auf der Ebene der erzählerischen Vermittlung.

Diese Definition umfasst natürlich ein breites Spektrum von Erzähleräußerungen und Funktionen, die über den von Genette vorgeschlagenen Metanarrationsbegriff, der mit Regiebemerkungen gleichgesetzt werden kann, weit hinausgehen.

In Mimesis des Erzählens und in einer etwas ergänzten Gestalt in Metanarration als Lakune der Erzähltheorie entwickelt Nünning eine überaus differenzierte Typologie der metanarrativen Erzähleräußerungen. Es werden vier Hauptkriterien zur Klassifizierung von Metanarration aufgestellt. Diese wären dominant formal, strukturell und inhaltlich bestimmte Unterformen der Metanarration, die dann durch wirkungsästhetisch oder funktional bestimmte Kriterien weiter differenziert werden. Von diesen wiederum werden 18 Kriterien zur Bestimmung von metanarrativen Unterformen abgeleitet. Da die im Anhang gezeigte Tabelle dieser Kriterien zur Bestimmung metanarrativer Erzähleräußerungen weitgehend selbsterklärend ist, können wir hier auf eine vollständige Auflistung und Erklärung der einzelnen Kriterien und Unterformen verzichten. Diese werden statt dessen an den jeweiligen Stellen in den analytischen Kapiteln als Grundlage für die Bestimmung einzelner narrativer Phänomene bei Bobrowski als ´metanarrativ´ dienen.

Eine Ausnahme soll hier jedoch ein Kriterium machen, das von Nünning in einem weiteren Schema präzisiert wird. Das 18. Kriterium, das unter „wirkungsästhetische bzw. funktional bestimmte Formen von Metanarration“ fällt, stellt die binäre Opposition von ´Illusionskompatibler´ und ´illusionsstörender´ Metanarration dar. Dieses Kriterium wird von Nünning um ein Schema ergänzt, das im Anhang als Abb. Nr. 1 beigelegt wird. ‚Illusion‘ bezieht sich in diesen opponierenden Begriffen auf die Geschehensillusion (auf die Glaubwürdigkeit des Erzählten – der Handlung, der Figuren, der erzählten Welt). Zwischen den beiden Extremfällen der illusionskompatiblen und illusionsdurchbrechenden Metanarration wurden 12 Abstufungen eingefügt, womit der Übergang von einem Pol zum anderen skalar verläuft. Nünning verweist darauf, dass dieses Schema nicht etwa implizieren soll, dass in der Praxis metanarrative Außerungen nur jeweils eine Funktion erfüllen. Vielmehr sei es so, dass das Schema die einzelnen Funktionen nur zu analytischen Zwecken getrennt darstellt. Auch räumt er ein, dass sowohl die Kriterien zur Differenzierung der Unterformen von Metananarration als auch deren Funktionen durchaus erweiterbar wären.

Betrachtet man das von Nünning vorgestellte Modell als Ganzes, das vor allem auf den von ihm eingeführten Begriff der Erzählillusion aufbaut, ist zu erkennen, dass sein Augenmerk hier vor allem Texten mit einer ausgeprägten Erzählillusion gilt, also vornehmlich Texten mit einem auktorialen oder Ich-Erzähler. Gewissermaßen diskriminierend verhält sich diese Theorie daher zu Erzähltexten, bei denen die Erzählillusion weitgehend in den Hintergrund rückt, insbesondere im Fall der sogenannten ´Reflektorfigur´ - einer Erzählinstanz, die so wenig „Spuren“ hinterlässt, dass sie kaum anthropomorphisierbar ist und daher als ´Erzähler´ im personifiziertem Sinne schwer auszuweisen ist.
Im Rahmen dieser Untersuchung jedoch eignet sich das Modell grundsätzlich sehr gut zur Analyse der von einer dominierenden Erzählillusion geprägten Texte Bobrowskis, wie wir unten in den analytischen Kapiteln sehen werden.

Natürlich vermag das in den zwei kurzen Aufsätzen Nünnings erarbeitete Modell nicht alle Erscheinungsformen, Aspekte und Funktionen der Metanarration und der vielen damit verbundenen Phänomene auszuschöpfen. Doch bietet dieses eine verlässliche (da begrifflich differenzierte) Ausgangsposition für Erweiterungen.

Ausblick auf die ´Erzählerhandlung´

Nünnings Ansatz könnte man als einen ersten Schritt, als eine Grundlage für eine noch ausstehende theoretische Erfassung ´erzählerischen Handelns´ eines extradiegetischen Erzählers bewerten. Es sei hier darauf verwiesen, dass die Rolle der metanarrativen Erzählfunktionen, die von Nünning begrifflich differenziert erfasst wurden, in einem weiteren Kontext gesehen werden kann, der der narrativen Struktur solcher Texte wie etwa Das Stück und Litauische Claviere oder auch der Un drame bien parisien Allais´ Rechnung tragen könnte.

Wie wir unter anderem im Kapitel über Litauische Claviere sehen werden und wie am Beispiel von Un drame bien parisien bereits vorgeführt, ‚funktionieren‘ manche Texte nach anderen Regeln, als wir es sonst gewohnt sind. Wie hier gesehen, stellt der Akt des Erzählens, der die Ebene der Erzählvermittlung einer Geschichte herstellt, nach Ansicht einiger Autoren die erste „Handlung“ dar. Dies unterstreicht auch das Konzept einer ´Mimesis des Erzählens´, die den prozessualen und performativen Charakter und den Handlungsaspekt von Erzählen hervorhebt. Das heißt also, dass auch der extradiegetische auktoriale Erzähler selbst handelt. Der Diskurs der Metanarration, der hier in Grundrissen skizziert wurde, erweitert den überaus differenzierten und vielseitigen Handlungsrahmen des Erzählers auf theoretischer Ebene erheblich. Damit wird eine Erweiterung der „Bühne“ des Erzählers in Aussicht gestellt.

Am häufigsten sind wir mit einer Erzählsituation konfrontiert, in der der Erzähler handelt, indem er einem fiktiven Leser eine Geschichte erzählt. Wir erfahren ihn dann als ´Vermittler´ der Geschichte. Wie wir aber sehen konnten, spielt in manchen Texten nicht die Geschehensillusion und damit die diegetische Ebene die Hauptrolle, sondern die Erzählillusion und damit die Ebene der Erzählvermittlung. In einem Text mit einer prominenten Erzählillusion kann dem Erzähler einiges mehr an Funktionen zugesprochen werden als nur jene der Vermittlung. Die hier als metanarrative Außerungen zusammengefassten Techniken des thematisierten Erzählens stellen einen bedeutenden Teil solcher Funktionen dar. So ist eine weitere geläufige „Handlung“, von der der Erzähler Gebrauch machen kann, die der Legitimierung oder Authentifizierung des Erzählten, indem er sich auf Quellen fiktionalen oder faktualen Charakters bezieht, sich auf Zeugen bezieht usw. Auch hierfür finden wir schon im Don Quijote reichlich Beispiele, etwa an dieser metanarrativen Stelle:

Was ich jedoch zu diesen Kasus ermitteln konnte und was ich in den Jahrbüchern der Mancha geschrieben fand ist, daß er den ganzen Tag seines Weges zog und beim Herannahen des Abends er und sein Gaul erschöpft und bis zum Tode hungrig waren […].

Wie wir an den zahlreichen Formen der Metanarration gesehen haben, kann der Erzähler den (fiktiven) Leser, rhetorisch oder metaleptisch auch Figuren der diegetischen Ebene anreden, Regiebemerkungen über die Komposition oder Konstruktion des Erzählten machen oder über die eigene Erzählerrolle und den Akt des Erzählens reflektieren. Es handelt sich dabei um Formen der „Erzählerhandlung“, die als ´verbales Handeln´ bezeichnet werden können – ihr Medium ist die „Stimme“ eines personifizierbaren Erzählers, die wir auf der Ebene der Erzählvermittlung wahrnehmen.

Der Erzähler kann mit und an seinem eigenen Erzählen und Erzähltem eine Entwicklung vorführen (an sich selbst oder an seinem Handeln (schreiben)), die sich implizit auf der Ebene der Erzählvermittlung abspielt und die sich der diegetischen Ebene aber auch der Diskursebene selbst als Medium des Verweises oder des Index für diese Entwicklung bedient. Bei Bobrowskis Texten kommt dies insbesondere in Das Stück, in Litauische Claviere und in einer gemilderten Form auch in Levins Mühle zum Vorschein.

Diese Entwicklung ist aber nur auf einer der Erzählvermittlung logisch übergeordneten Ebene beobachtbar, denn diese Entwicklung wird vom Erzähler auf keiner Ebene explizit thematisiert. Da die Ebene der Erzählvermittlung jedoch die höchste logische Ebene eines Textes darstellt (abgesehen von der paratextuellen Ebene), kann diese Entwicklung nur auf der Rezeptionsebene beobachtet werden und ist damit eine Frage der Interpretation

Der auktoriale extradiegetische (in das Geschehen der diegetischen Ebene nicht einbezogene) Erzähler kann damit also mehrere Züge einer Figur annehmen. Dies wird in der Dissertation an gegebener Stelle in den einzelnen Textanalysen wieder aufgegriffen und das Konzept der „Erzählerhandlung“ soll damit durch die Fallanalysen verdeutlicht werden.



Vgl. dazu Propp (1982).

Vgl. dazu Martínez/Scheffel (2007), insbesondere S. 26ff.

Wolf (1993), insbesondere S. 102ff.

Vgl. dazu Stanzel (1979), S. 219.

Vgl. dazu Martínez/Scheffel (1997), S. 26. Auch an der hier aufgeführten übersichtlichen Tabelle wird deutlich, dass die Darstellungs- oder Handlungsebene von beiden Autoren in fünf hierarchisch geordneten Ebenen geteilt wird, während das Erzählen die einzige Kategorie der Vermittlungsebene darstellt.

Hutcheon (1980), S. 5.

Ebd., S. 153.

Ebd., S. 5.

Ebd. S. 18.

Nünning (2001b), S. 126.

Don Quijote, S. 31.

Vgl. dazu Eco (2002), insbesondere S. 57ff.

Don Quijote, S. 29.

Nünning (2001), S. 13, 14.

Wolf (1993), S. 102ff.

Ebd., S. 14.

Vgl. Fludernik (2003), insbesondere S. 10-15.

Dazu gehören z.B. die Aufsätze Nünning (2001), Fludernik (2003), die Monographien Waugh (1984), Hutcheon (1980), Wolf (1997), sowie der Sammelband Nünning (2007), aber auch Einzelstudien wie Sprenger (1999), Frank (2001), Setzkorn (2003.

Vgl. Fludernik (2006), Lahn/Meister (2008).

Genette (1998), S. 183.

Genette (1998): S. 279.

Diese werden ebd., S. 183-186 in Diskurs der Erzählung aufgeführt.

Genette (1998), S. 184.

Genette hatte darauf schon im Diskurs der Erzählung auf S. 163 in der Fußnote hingewiesen.

Ebd., S. 253.

Nünning (2001a), S. 16.

Bal (2006), S. 5, 6.

Auf diese werden wir unter etwas näher eingehen.

Hutcheon (1980), S. 155.

Was auch die Undifferenziertheit des Begriffs in der englischsprachigen Tradition offenbart, denn hier handelt es sich um ein ganz anderes Konzept als das einer eingebetteten Erzählung.

Eco (2002), S. 250.

Für eine ausführliche und überaus Einsichtsreiche Interpretation von Un drame bien parisien vgl. ebd., S. 247-278.

Ebd., S. 276.

Ebd., S 61-8

Vgl. Aristoteles (2006).

Smith (1978), S. 29.

Zitiert nach Nünning Mimesis des Erzählens, S. 21 (1981: S. 156)

Nünning, S 20

Ebd. S. 20, Wolf, Werner zitiert nach

Ebd. S. 20, 21

Nünning, S. 21

Nünning, S. 22

Nünning, S. 22

Für einen aufschlussreichen Einblick auch in außertextuelle Faktoren der Entstehung der Erzählillusion, vgl. Weimar, Klaus Lesen: zu sich selbst sprechen in fremdem Namen (1999) und Wo und was ist der Erzähler? (1994), sowie auch den Aufsatz von Grabes, Herbert Wie aus Sätzen Personen werden. Über die Erforschung literarischer Figuren (1978)

Er beruft sich hier auf einen von Williams geprägten Begriff, Vgl. Dazu Williams, 1998, S. 77: „These pervasive scenes repeatedly foreground the production and exchange, ascribing an addresser and also an addressee, establishing a setting or locale for narrative […], projecting a ready narrative channel, and providing a message.“

Nünning S. 28

Ebd. S. 28

Nünning S. 28

Ebd. S. 29

Ebd. S. 30

Nünning S. 31

Ebd. S. 31, 32

Bal 2006

Vgl. Dazu Nünning (2001b), S. 129 oder für eine ausfürlichere Übersicht Fludernik (), S.

Nünning (2001b): S. 130

Ebd. S. 131.

Lahn/Meister (2008), S. 181.

Nünning (2001b), S. 15

Nünning (2001b), S. 130.

Vgl. dazu Fludernik (1993), S. 21-27.

Vgl. ebd., insbesondere S. 20.

Nünning (2001b), S. 130.

Wolf (1993), S. 296.

Nünning (2001b), S 131, 13

Nünning (2001b), S. 13

Nünning (2001b), S. 132

(Siehe Tabelle Nr. 1 im Anhang für eine detaillierte Darstellung der einzelnen Unterformen der Metanarration und ihrer Bestimmungskriterien)

Nünning (2001b), S. 135.

(Siehe Tabelle Nr. 1).

Nünning (2001b), S. 15

Don Quijote, S. 29.



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